Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
hätten wir dich am vorteilhaftesten verheiratet. Ein manierlicher Mann, nur wenig älter als du selbst, mit einem sicheren Auskommen und dem besten Ansehen. Da waren doch alle Voraussetzungen für eine glückliche Ehe gegeben.« Eine Weile war es still im Raum. Mutter schaute unglücklich auf die kleine Henriette, der schon wieder die Augen zufielen. Schließlich sagte sie: »An allem ist nur Edith schuld. Das Weib muss fort. Darauf werden wir bestehen. Das habe ich auch zu deinem Vater gesagt, Sophie. Sie war von Anfang an Gift für euer Glück.«
»Und wenn Marsilius sich weigert?«
»Verlass dich auf mich! Ich werde ihm schon den Kopf zurechtrücken. Du musst nur selbst auch deinen Teil dazu beitragen. Sei liebenswürdig zu ihm. Geh ihm um den Bart.«
»Edith hat meine Magd ermordet.«
»Davon will ich jetzt aber wirklich nichts mehr hören!« Das Kind schreckte bei Mutters scharfem Tonfall zusammen. Es streckte die kleine, rosa Zunge heraus. Sophie starrte es an wie etwas Fremdes.
ie Taverne war dunkel und schmutzig und vom Lärm der Gäste erfüllt. Trotz der fortgeschrittenen Stunde war sie bis auf die letzte Bank gefüllt. Die Männer und die Dirnen, die ihr Glück bei ihnen versuchten, waren ausnahmslos betrunken, und ihre Körperausdünstungen füllten den Raum. Es roch nach Dreck, Bier und Schweiß. Das Federvieh, das im Stroh nach Brotkrumen scharrte, trug auch nicht zu größerem Wohlgeruch bei. Als wäre man in einem Hühnerstall, dachte Julius und rieb sich die müden Augen.
Der Wirt, ein magerer, flinker Mann mit einer kreisrunden kahlen Stelle auf dem ansonsten üppig bewachsenen Kopf, füllte die Becher seiner lallenden Gäste nach und jagte die Huren, die zu müde waren, um die Männer noch zu umschmeicheln, aus den Ecken hoch. Ein Junge mit geschlitzten Verbrecherohren, der einer Laute etwas wie Wohlklang zu entlocken suchte, bekam einen Fußtritt. Einige Söldner hatten sich abseits von den anderen Gästen gesammelt, sei es, dass sie wegen ihrer Verletzungen zu geschwächt für den Trubel waren oder dass der Stolz sie vom Rest des Gesindels fernhielt.
»Ich habe gesagt, dass es Euch nicht gefallen wird«, bemerkte Pater Ambrosius, der mit seiner Sutane dafür sorgte, dass sie von den Huren unbehelligt blieben.
»Noch einen Becher Wein?« Julius winkte dem Wirt, als Ambrosius nickte.
»Ich bin sicher, wenn Marx tatsächlich noch lebt, weiß er bereits, dass Ihr hier seid«, murmelte der Geistliche. »Er ist ein umtriebiger Mensch. Hat überall seine Finger drinstecken. Hier ein Geldstück für einen Postreiter, dort für einen Schankwirt, der ihm was zutragen soll. So war es jedenfalls, als ich noch bei ihm gewesen bin. Aber ich gebe Euch zu bedenken: Ich habe ihn selbst in das brennende Haus flüchten sehen. Unmöglich, dass er von dort entkommen ist. Und genau das sagten auch die Unholde, die er um sich geschart hatte: Unmöglich! Andernfalls hätten sie sich kaum so rasch zerstreut.«
»Habt Ihr bedacht, dass Marx Euch vielleicht zu diesem Raubzug mitnahm, weil er genau diese Überzeugung verbreiten wollte? Die Jagd auf ihn ist nach dem Brand doch eingestellt worden, oder?«
»Was für eine Vorstellung!«, flüsterte Ambrosius. Er sah dabei allerdings nicht sonderlich schockiert aus. Julius musste lächeln. Pater Ambrosius war ein Mensch mit einer laxen Vorstellung von Recht und Gesetz. Als er ihn aufsuchte und ihm sein Begehren vortrug, hatte er sich sofort bereit erklärt, ihm zu helfen. Er hatte ihm sogar sein Bett angeboten, und als sein Gast es verzog, in dem kleinen Garten zu nächtigen – was bei den sommerlichen Temperaturen ein Vergnügen war –, hatte er gesellig seine Strohmatratze ebenfalls ins Freie gelegt. Keinerlei Berührungsscheu mit jemandem, der Kontakt mit einem Verbrecher aufnehmen wollte. Wenn er einen Menschen mochte, schien er sich leicht mit dessen Wünschen abfinden zu können. »Wie viele Männer, sagtet Ihr, hatte Marx um sich gesammelt?«
»Etwa zwanzig. Raue Kerle, denen allerdings das Schicksal oft genug übel mitgespielt hat, wenn Ihr mir die Bemerkung erlaubt. Das soll natürlich keine Entschuldigung sein, denn der Herr prüft seine Kinder, und der Versuchung zu widerstehen ist der Zweck unseres Daseins. Aber das Leben, das Leben …« Ambrosius seufzte, als wäre das Leben ein Gottseibeiuns, gegen den die rauen Kerle beim besten Willen keine Chance hatten. Sicher war er ihnen ein großzügiger Beichtvater gewesen. Julius nahm den Wein
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