Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
unten drücken wollte, raunte Sekretär
Baier: »Hast du nicht etwas vergessen, Bursche? Ein wenig Dankbarkeit für meine
selbstlose Tat?«
Lorenz atmete einmal tief durch. Langsam drehte er sich zu dem Mann
um und verbeugte sich vor ihm. »Habt Dank, Herr.«
Die Wut in seinem Bauch ließ ihn so schnell rennen
wie noch nie zuvor in seinem Leben. Seine Füße stampften sich Schritt für Schritt
in den Schlamm des Bodens und der Wind pfiff hell in seinen Ohren. Wie konnte er
nur so etwas sagen? Er hatte sich gemeldet, um Kempen zu beschützen, und was hatte
Baier für ihn übrig? Nur Spott und Häme, dafür, dass er sein Leben riskierte. Mit
jeder Sekunde, die er schnaubend zurücklegte, verflog sein Zorn und die Erinnerungen
an den heutigen Nachmittag besänftigten ihn. Schnell durchquerte er das Kuhtor,
die Wachen, die gelangweilt an der Mauer standen, würdigte er keines Blickes. Als
er den nahe gelegenen Wald erreichte, musste er sich schwer atmend auf die Knie
stützen. Doch wo war Maximilian?
»He, Eisenklopper!«
Eine allzu bekannte Stimme drang an seine Ohren. Frivol grinsend, kam
Jakob auf ihn zu, auf seiner Schulter lag eine riesige Axt, die er ohne Anstrengung
zu tragen schien, während er die Karre mit einer Hand zog. Hinter ihm schoben Maximilian
und Gustav den voll beladenen Wagen.
»Kommst du auch noch?«, wollte Maximilian gereizt wissen.
»Ja … es … ja …«, stammelte Lorenz. »Es tut mir leid, ich …«
»Ach!«, mischte sich Ratte ein. »Bei dem Weib sei es dir verziehen.
Da hätte jeder von uns seine Chance ergriffen.«
Sein verschmitztes Gesicht sprach Bände. Man konnte beinahe sehen,
wie Ratte Elisabeth in Gedanken auszog. Anerkennend klopfte er Lorenz auf die Schulter.
»Und wie war es?«
Drei Augenpaare waren nun auf ihn gerichtet.
»Es, es war …«
Er spürte die fordernden Blicke seiner Freunde, wollte sie nicht enttäuschen
und gleichzeitig fühlte er sich unwohl. »… es war großartig«, sagte er schließlich.
Ein herzhaftes Lachen und Klatschen hallte im Wald wider, in das selbst
sein Bruder nach einiger Zeit mit einfiel. Die Sonne war nun beinahe untergegangen
und warf ihre letzten Strahlen in das Gesicht der Jungen.
»Du kannst dich bei den beiden bedanken«, sagte Maximilian schließlich.
»Ohne sie wäre uns eine gehörige Tracht Prügel gewiss gewesen.«
Lorenz suchte den Blick seiner Freunde, die bereits mit einer Hand
abwinkten. Er verbeugte sich leicht, fast unmerklich. »Habt Dank.«
Ein warmes Gefühl erfüllte sein Herz, als er diese
Worte diesmal ehrlich und aufrichtig aussprechen konnte.
Kapitel 6
- Schönheit -
Mit weit geöffneten Augen starrte Lorenz an die Decke seines Zimmers. Der Tag war gerade wenige
Stunden alt und trotzdem konnte er nicht mehr einschlafen. Ihr Vater hatte die Brüder
direkt nach dem gemeinsamen Essen ins Bett geschickt.
»Hätte mehr sein können«, hatte er noch gesagt, als er am Abend einen
Blick in den Holzspeicher warf.
Bis spät in die Nacht hatte Lorenz von seinem Bett
aus den flackernden Schein aus der Stube gesehen. Während Maximilian sofort eingeschlafen
war, beobachtete er das tanzende Licht durch den Spalt in der Türe. Vater musste
noch lange vor sich hingegrübelt haben. Es mussten schwere Entscheidungen sein,
die er dort, in der selbst gesuchten Einsamkeit, getroffen hatte. Regelmäßig hatte
Lorenz seinen schweren Becher gehört, der dumpf auf der Tischplatte aufschlug. Doch
irgendwann war selbst das Licht der Kerze erloschen und Lorenz war in einen wohligen
Schlaf geglitten. An den Traum in dieser Nacht konnte er sich nicht erinnern. Eigentlich
konnte er nicht einmal sagen, ob er überhaupt geschlafen hatte. Es fühlte sich an,
als hätte er in einem Moment die Augen geschlossen und im anderen wieder geöffnet.
Nur die ersten, zaghaften Sonnenstrahlen verrieten ihm, dass er mehrere Stunden
geruht haben musste. Und nun war er wach und konnte an nichts anderes mehr denken
als an den vergangenen Nachmittag. Ob Antonella jetzt ebenfalls schon wach war und
an die Decke ihres Zimmers starrte? Vielleicht hatte sie dieselben Gedanken. Er
musste lächeln. Eine schöne Vorstellung. Eigentlich sollte er noch ein paar Momente
Schlaf finden, um zu Kräften zu kommen. Schließlich hatte er einen anstrengenden
und langen Tag vor sich. Doch wie konnte er Ruhe finden, wenn seine Überlegungen
ein ums andere Mal bei Antonella haften blieben? Allein die Vorstellung, ihre Hand
zu halten, weckte in ihm ein nie
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