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Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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ihren Satz.
    Tief atmete er aus. Diese Worte hätten genauso gut von ihm stammen
können.
    »Ich weiß, was Ihr sagen wollt.« Nun strich auch Lorenz über das feuchte
Gras und spielte mit dem hängen gebliebenen Wasser. »Obwohl Euch viel Glück im Leben
zuteil wurde und Ihr alles habt, um ein gutes Leben zu führen, so sprecht Ihr doch
Dinge aus, welche Ihr nicht tun solltet …«
    »… weil Euch ein unbekanntes Verlangen antreibt«, beendete sie nun
seinen Satz.
    Ihre Blicke trafen sich. Als ein Windhauch ihre
Haare erfasste und mit ihren Strähnen spielte, nahm Lorenz allen Mut zusammen. Leicht,
fast unmerklich, legte er seine vom Regenwasser feuchte Hand in die ihre. Kurz hatte
es den Anschein, als würde sie ihren Arm zurückziehen wollen, doch er blieb liegen.
Hauchzart verbanden sich die Tropfen zu einem. Lorenz wollte das Atmen einstellen,
als die Haut auf seinen Armen sich zusammenzog.
    Sanft begann sie die Innenfläche seiner Hand zu
streicheln. Der Dreck unter ihren Fingernägeln störte ihn dabei genauso wenig wie
die Kühle, die langsam aufzog. Dieser Moment hätte ewig andauern können. Unsicher
bewegte er auch seine Finger, um über ihre Hand zu fahren. In diesem Moment schlossen
beide die Augen. Sein Herz schien auszusetzen und er hörte auf zu atmen. Es schienen
nicht nur ihre Hände zu sein, die gestreichelt wurden. Selbst der Wind umspielte
ihre Gesichter und liebkoste ihre Haut zärtlich. Manchmal schenkt einem der Allmächtige
perfekte Momente, die nur Vorboten des Himmels sein können, dachte Lorenz.
     
    Durch einen Knall auf der Straße wurden die beiden aus ihrem Traum
gerissen und schreckten zurück. Sie mussten eine Ewigkeit ihre Hände gehalten haben.
Eine Ewigkeit und trotzdem viel zu kurz. Scheu lächelten sie sich an, dann fiel
ihr Blick zu Boden.
    »Warum lest Ihr gerade Kräuterkunde? Warum nicht Poesie oder Literatur?«,
fragte Lorenz, als er die Bücher mit den vielen Zeichen erkannte, die er nicht zu
entziffern vermochte.
    Es war das erste Mal, dass Antonella ihn fest ansah. Erst jetzt bemerkte
Lorenz, dass sich in ihren Pupillen mehrere braune Abstufungen wiederfanden. Der
äußere Rand war dunkel und erinnerte ihn an die Farbe von Kastanien. Doch je mehr
er sich dem Mittelpunkt ihrer Augen näherte, desto heller wurden sie und schienen
wie das Fell eines Rehkitzes. Ihre Stimme war nun fester, das Gespräch schien ihr
zu liegen.
    »Kräuterkunde ist eine ehrliche Wissenschaft.
Bei einem bestimmten Gemisch entsteht jedes Mal dieselbe Wirkung. Sie ist einfach
und unverblümt. Literatur und Poesie liegen im Auge des Betrachters. Was für den
einen Schönheit sein mag, kann für den anderen abstoßend sein.« Sie stand auf, erfasste
einen Zweig mit der Hand und ließ ihre Finger durch die Nadeln der Tanne gleiten.
»Doch in der Arznei ist jeder, ob Fürst oder Bettler, gleich.«
    Als sie sich zu ihm umdrehte und ihr schwerer, mit Grasspuren übersäter
Rock sich im Schwung drehte, erkannte er in ihren Augen etwas, was ihm bis jetzt
verborgen geblieben war. Als sie über die Kräuterkunde sprach, schien ein flammender
Funke der Begeisterung ein Feuer in ihr zu entzünden. Ihr Lächeln war nicht mehr
ängstlich und ihr Blick voller Freude.
    »Erzählt mir mehr davon«, bat er.
    Lorenz hatte sich noch nie für Kräuter und Arzneien
interessiert. Es war für ihn ein notwendiges Übel, zum Arzt in der Gemeinde gehen
zu müssen, und die Schriften, welche unter dessen Gläsern und Behältern aufgemalt
waren, sahen für ihn alle gleich aus. Doch mit welcher Begeisterung und Inbrunst
Antonella von Pflanze zu Pflanze, von Kraut zu Kraut, von Baum zu Baum in ihren
Büchern blätterte, war überwältigend. Still nickend beobachtete er sie. Sie zeigte
ihm Buchstaben und wie man sie aussprach, dann die lateinischen Namen verschiedener
Pflanzen, die er sich sowieso nicht merken konnte. Ihre Leidenschaft für die Wirkung
von Heilkräutern und Pflanzen schien sich mit jeder Minute zu vergrößern. Er wollte
seine Blicke gar nicht mehr von ihr nehmen. Dabei war es egal, ob sie etwas über
Ahornblätter oder Sumpfgras erklärte. Allein ihre Bewegungen, ihre Augen, ihre Stimme,
ihr Duft hätten ihn dazu gebracht, ihr ewig zuzuhören.
     
    Die Sonne stand bereits tief am Himmel und tauchte den Garten in ein
kräftiges Orange, als sie die schrille Stimme der kleinen, dicken Köchin vernahmen.
    »Antonella, komm zu Tisch!«
    War es bereits so spät am Abend? Er musste Stunden hier verbracht haben,
was ihn

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