Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
Brüder.
»Wir wollten …«, stammelte Maximilian endlich, »wir wollten helfen,
die Angreifer abzuwehren, sie bereits vor der Stadt stellen.«
Diese Worte ließen erneut das Wasser in Martas Augen schießen.
»Nein, das kann nicht sein«, sagte sie trotzig und schüttelte den Kopf.
»Ihr werdet mit eurem Vater zum Bürgermeister gehen und sagen, dass dies alles ein
großer Irrtum war, ihr werdet …«
»Sie können nicht, Marta«, warf Josef mit fester Stimme ein. »Die Meldung
zum Freiwilligen war bindend. Wenn sie jetzt davon zurücktreten, dann gelten sie
als fahnenflüchtig und werden getötet.« Vaters Körper blieb starr, seine Augen auf
einen Punkt fixiert.
»Mutter, wir möchten ja kämpfen und die Feinde zurückschlagen.« Lorenz
versuchte, die Worte laut und entschlossen klingen zu lassen, doch das, was seinen
Mund verließ, hörte sich eingeschüchtert und ängstlich an.
»Ihr seid doch noch nicht einmal Soldaten«, wisperte sie.
Ihr hochroter Kopf und das von Tränen aufgedunsene Gesicht ließen sie
älter aussehen, als sie tatsächlich war.
»Ab heute Abend werden sie es sein«, sagte Vater, der allem Anschein
nach zu alter Härte zurückgefunden hatte. Ohne die Brüder eines weiteren Blickes
zu würdigen, stand er auf und verließ das Zimmer.
»Mutter, wir …«, doch Lorenz’ Worte stoppten, als er sah, dass Marta
es nicht mehr aushielt. Minuten hatte sie das zurückgehalten, was nun aus ihr herausbrach.
Die Hände vor das Gesicht haltend, stürzte sie aus dem Zimmer. Ihr Wehklagen war
so laut und herzzerreißend, dass es in ihren Ohren wehtat und ihre Herzen zu bluten
begannen.
»Was haben wir getan?«, flüsterte Lorenz leise.
»Wir dachten, dass wir das Richtige tun.«
»War es das Richtige, Max?«
Er wusste darauf keine Antwort.
Schweigend stierten sie vor das Bett. Erst nach etlichen Minuten trauten
sich die Brüder aus ihrem Zimmer hinaus. Die Stube war gut befeuert und warm, doch
selbst die größte Hitze hätte das Eis, das sie in sich trugen, nicht zum Schmelzen
bringen können. Unsicher blickten sie sich um. Weder in der Schmiede noch im Schlafzimmer
der Eltern oder der Kleinen war jemand zugegen. Sie waren allein. Das flaue Gefühl
im Magen verbot ihnen jeglichen Appetit und doch stopften sie wortlos ein paar Brote
in sich hinein. Kurz überlegten sie, einfach mit ihrer Arbeit zu beginnen, doch
selbst dazu fehlte ihnen die Kraft. Das Wetter schien sich mit ihrer Gefühlslage
verbinden zu wollen, und so wurde auch dieser Tag nicht richtig hell. Bleigrau und
wolkenschwer ragte der Himmel bis zum Horizont. Neuer Schnee war nicht gefallen,
allerdings wäre er im ständig währenden Nieselregen untergegangen. Das graue Plätschern
auf dem Dach des Hauses wirkte beinahe einschläfernd, melodisch. Doch Lorenz verbat
sich jeden Gedanken an die Müdigkeit. Und so starrten die beiden aus dem Fenster,
wartend, ausharrend, leidend. Die Uhr am Kirchturm schlug bereits zur ersten Stunde
des Mittags, und immer noch fehlte von ihren Eltern und Geschwistern jede Spur.
Langsam, schleichend vergingen die Minuten. Nervös im gesamten Haus herumwandernd,
stierten sie immer und immer wieder aus den Fenstern, in der Hoffnung, bald in ein
bekanntes Gesicht blicken zu können. Doch von ihrer Familie war nichts zu sehen,
generell schien es heute so, als würde sich niemand auf die Straße trauen. Schon
früh zündeten die Leute Kerzen in ihren Häuser an, um sich zumindest ein bisschen
Helligkeit zu verschaffen. Flackernd wurde das Licht schon nach wenigen Metern gebrochen
und verschwand in den dunklen Abendstunden.
»In zwei Stunden müssen wir uns auf dem Marktplatz melden«, sagte Maximilian,
ohne seinen Blick vom Regen abzuwenden.
»Wir gehen hin?«
»Siehst du eine andere Möglichkeit?«
Lorenz ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Sich mit der Hand am Kinn
reibend, stellte er sich neben seinen Bruder. Auch sein Blick ging aus dem Fenster,
weit in die Ferne. »Was wäre, wenn wir die Stadt verlassen? Nur für ein paar Monate.«
Ein Schmunzeln huschte kurz über das Gesicht von Maximilian. »Daran
habe ich schon gedacht, kleiner Bruder.«
»Und?«
Beinahe unmerklich schüttelte er den Kopf. »Jeder in der Stadt weiß,
dass wir uns gemeldet haben. Du hast doch Vaters Worte gehört. Wenn wir Kempen als
Fahnenflüchtige verlassen, dann können wir nie wieder zurückkehren.« Er seufzte.
»Und du weißt nicht, was mit unserer Familie geschieht, wenn wir tatsächlich
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