Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
stammelte Antonella.
Ihre Gedanken sprudelten, doch sie wollten den Weg zu ihrem Mund nicht
finden. Es waren einfach zu viele Worte auf einmal, die sie nicht mehr bändigen
konnte.
»Ich … war es nicht …«
Ihr flehender Blick traf den des Pfarrers. Auch um diese Uhrzeit waren
seine blauen Augen wach und aufmerksam. Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
»Kommt«, sagte er schließlich mit einer einladenden Handbewegung.
Mit zusammengekniffenen, rot unterlaufenen Augen nickte sie und schritt
an ihm vorbei. Ihre Wangen brannten, und abermals fühlte sie, wie das Blut ihre
Stirn herunterquoll. Ihr schweres Atmen wurde von den Wänden zurückgeworfen und
vermischte sich mit den Geräuschen hinter der Tür.
»Danke«, flüsterte sie ohne Stimme.
Behutsam hatte Tillmann sie in die Sakristei geführt. Immer noch bitterlich
schluchzend, nahm sie auf einer Holzbank Platz. Der Raum war klein und ruhig. Kein
Geschrei drang hier hinein. Das Treiben auf der Straße schien so unendlich fern.
Seine vollen, blonden Haare schimmerten im Schein des einfallenden Mondlichts, und
Antonella fühlte sich zum ersten Mal an diesem Abend sicher. Nur langsam beruhigte
sie sich.
»Er … er hat …«, schluchzte sie.
Doch Pfarrer Tillmann legte nur den Finger auf
die Lippen. »Schhhh. Warte, mein Kind.«
Mit Bedacht stellte er einen Eimer Wasser neben
ihre Füße und feuchtete einen Lappen an. Dann setzte er sich lächelnd neben sie.
Seine makellosen Zähne blitzten kurz auf, als er mit dem Lappen vorsichtig über
ihre Wunde fuhr und ihr Gesicht reinigte. Die Kühle des Wassers ließ sie kurz erschrecken,
dann schloss sie die Augen und genoss seine Fürsorge. Für einen kurzen Moment schien
es, als könnte er die Geschehnisse der vergangenen Stunden einfach wegwischen.
»Gefällt Euch das?«, flüsterte er leise.
Sie konnte nicht mehr tun, als den Kopf leicht zu bewegen.
Mehrmals musste sie die Nase hochziehen und nur ganz allmählich wurde
ihre Atmung gleichmäßig.
»Erzähle mir, was passiert ist, mein Kind«, sagte er ruhig und mit
angenehm melodischer Stimme.
»Er hat ihn getötet. Einfach erschlagen.«
»Wer hat wen getötet?«
»Sekretär Baier, meinen Vater.«
Die Festigkeit ihrer Stimme überraschte sie beinahe selbst. Tillmann
blickte auf und wandte seinen Blick auf den Tisch. Ein Kreuz ragte von der Platte
hervor und glitzerte im fahlen Mondlicht.
»Das sind schwere Anschuldigungen, mein Kind. Sekretär Baier ist ein
angesehener Mann. Seine Verbindungen reichen bis zu den Amtmännern in der Landesburg«,
sagte er nachdenklich.
»Ihr seid der Einzige, der die Macht hat, ihn zu stoppen«, flüsterte
Antonella. »Bitte, er hat meinen Vater erschlagen. Hat ihn einfach kaltblütig ermordet.
Ihr müsst Euch an die Stadtwache wenden. Er hat einfach meinen Vater …«
»Soweit ich weiß, war er nicht Euer Vater«, warf der Pfarrer ein.
Sein Blick wanderte vom Tisch mit dem Kreuz zurück zu Antonella. Er
nahm den abgerissenen Teil ihres Kleides in die Hände und legte ihn zärtlich auf
ihre Schulter. »Der Bürgermeister hat Euch vor Jahren adoptiert. Ist es nicht so,
mein Kind?«
Verwundert blickte sie ihn an.
»Ja, Herr, das ist wahr, ich bitte Euch trotzdem, dass Ihr gegen dieses
Scheusal vorgeht.« Ein Schauer durchfuhr sie, als sie an das Vergangene zurückdachte.
»Er hat ihn schließlich …«
Die letzten Worte wurden in ihrem Wimmern erstickt. Verzweifelt faltete
sie die Hände vor ihrem Gesicht. Verständnisvoll nickend legte Tillmann seinen Arm
auf ihren Rücken und streichelte über die weiße Haut ihres Nackens.
»Oh, Ihr dürft nicht verzagen.«
Sie bemerkte gar nicht, wie Tillmann den zerfetzten Stoff zur Seite
legte und langsam und hauchzart mit den Fingern über die nackte Stelle fuhr.
»Es ist Gottes Wille. Hin und wieder holt er Menschen zu sich, um den
Weg freizumachen für andere, die seinen Weg etwas konsequenter verfolgen wollen.«
Er rückte näher an Antonella heran, sodass sich ihre Beine bereits
berührten.
»Was meint Ihr damit?«, wisperte sie unsicher.
»Ihr wisst, dass ich Euch helfen kann, mein Kind. Nichts ist zufällig.«
Tillmann legte seine andere Hand gemächlich auf den Oberschenkel Antonellas. »Ihr
wisst, dass ich Euch beschützen kann, dass ich Euch helfen kann, dass Ihr bei mir
sicher seid.«
Seine Worte waren nun ein Flüstern. Doch während
seine Stimme immer weicher und sanfter wurde, verhärtete sich sein Griff. Erschrocken
wollte sie aufstehen, doch er
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