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Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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die einer Frau. Dabei stieß er zornig einige Vasen
und Bücher um. Auch seine Augen hatten sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt.
Langsam entfernten sich die Schritte. Ihr Herz schlug bis zum Hals, als sie erkannte,
dass er in das Büro ihres Vaters gegangen war, um die Kerzen erneut zu entzünden.
Stück für Stück kam der Lichtschein näher. Ihr Kopf schien vor Hitze zu explodieren,
und das dicke Kleid nahm ihr die Luft zum Atmen. Bald würde er sie entdeckt haben.
Mit dem Mut der Verzweiflung wartete sie, bis er ihr den Rücken zuwandte, dann schoss
sie den Flur entlang und rüttelte an der schweren Tür. Kein Wort drang über ihre
Lippen, als sie sich umblickte und in das rot leuchtende Gesicht Baiers sah. Endlich
gab die Türklinke nach und machte den Weg frei in die Dunkelheit. Obwohl es Abend
war, säumten noch Menschen die Straßen. Doch bevor sie um Hilfe rufen konnte, hörte
sie die schrille Stimme des Sekretärs in ihrem Rücken.
    »Die Hexe! Sie hat den Bürgermeister umgebracht!«, brüllte er, so laut
er nur konnte. Einige der Bewohner machten einen Satz zurück, als hätte sie eine
ansteckende Krankheit. Sofort waren alle Augenpaare auf sie gerichtet. Aus den Gesichtern
sprach Abscheu, Angst, Wut. Panisch blickte sie sich um. Immer mehr Menschen schienen
von Baiers Geschrei angelockt zu werden und versammelten sich auf der Straße. In
den Häusern wurden Kerzen entzündet und Köpfe wurden aus den Fenstern gereckt. Und
immer wieder sah sie denselben Gräuel in ihren Gesichtern. Ihr Herz pochte wie wild
und drohte, in ihrem Körper zu zerbersten. Der helle Schein des Mondes schien sein
Licht nur auf sie zu werfen. Sie wollte etwas sagen, sich verteidigen. Doch es war
nur ein leises »Nein …«, was ihre Lippen verließ.
    Die ersten Menschen stimmten bereits in die Worte Baiers ein, riefen
mehr Leute zu sich, ruderten mit den Armen und zeigten mit dem Finger auf sie. Ihre
stechenden Blicke verbissen sich in ihr. Ein weiteres »Nein« huschte zaghaft über
ihre Lippen.
    Die Straße schien sich zu drehen. Überall waren nun Gesichter, Schreie
und Anschuldigungen. Flehend glitt sie auf die Knie, fühlte, wie ihre Füße an einem
herausragenden Pflasterstein hängen blieben und sie kraftlos stürzte.
    »Ergreift sie!«
    Antonella erkannte die hohe Stimme Baiers. Mit langsamem Schritt ging
er die Treppen hinunter. In all ihrer Verzweiflung richtete sie sich auf und stürzte
durch die Menschen hindurch. Sie fühlte die Arme, die ihr Kleid streiften und ihren
Ärmel zerrissen. Sie hörte die Schreie und Flüche, die ihr hinterher gerufen wurden.
Sie sah die bestürzten Blicke der Menschen, die wie Kleber an ihr hafteten. Nur
weg von hier. Egal wohin, nur weg von diesem Ort.
     
    Ihr Gesicht glühte, als sie den Marktplatz erreichte. Hier waren noch
viele Menschen zugegen, die sich kurz nach ihr umsahen, dann aber die Augen wieder
nach vorn richteten. Doch dem Gebrüll hinter ihr konnte sie nicht ausweichen. Schon
erkannte sie die ersten Bewohner, die sich hinter Baier versammelt hatten. Sie befanden
sich am hinteren Ende der Gasse und marschierten wie eine Mauer auf sie zu. Der
Anblick ließ das Blut in ihren Adern kochen. Hektisch sah sie sich um. Ihr Blick
fiel auf die Kirche, die wie ein Pfeiler den Himmel zu stützen schien. Sie raffte
ihren Rock hoch und rannte auf ihre einzige Hoffnung zu. Die schwere, mit Eisen
beschlagene Tür ließ sich nur unter Aufbietung aller Kraft öffnen. Hektisch stürzte
sie in das Gotteshaus und sah sich um. Hier war niemand mehr zugegen. Knallend warf
Antonella die Tür ins Schloss und lehnte sich für wenige Sekunden mit dem Rücken
an. Sie hatte keine Tränen mehr zum Weinen. Draußen schien es zu rumoren. Das Gebrüll
der Masse hörte sie auch durch die dicke Holztür. Ob die Meute sie gesehen hatte?
Bedächtig tippelte sie durch die massiven Holzbänke auf das Antlitz des gekreuzigten
Jesus Christus zu. Wenige Ellen vor dem Kreuz stoppte ihr Schritt. Die Kirche war
hell erleuchtet und warm. Überall waren dicke Kerzen aufgestellt, die ruhig flackerten.
Die großen, gläsernen Heiligen sahen auf Antonella herab und gaben ihr ein Gefühl
der Sicherheit. Wie oft hatte sie schon zu den Männern hochgesehen und hatte ihre
Gebete aufgesagt.
    »Was sucht Ihr um diese Zeit beim Herrn?« Das Hallen seiner Schritte
war laut und gleichmäßig. Die Hände vor der Brust gefaltet, ging Pfarrer Tillmann
mit durchgestrecktem Kreuz auf sie zu.
    »Ich … Herr Pfarrer …«,

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