Die Hexe von Freiburg (German Edition)
Wimmerlin, belauscht hatte.
«Es ist mir unbegreiflich», hatte sie Anselm sagen hören, «wie selbst bei uns im Habsburgerreich die Rechtsvorschriften unterhöhlt werden. Als ob es nie das Mandat von unserem vormaligen Kaiser Ferdinand gegeben hätte, dass Unglücke wie Krankheit, Hunger oder Missernten nicht auf Hexerei, sondern allein auf den Zorn Gottes zurückzuführen seien, wogegen nichts helfe als Beten und bußfertiges Leben. Haben unsere Rechtsgelehrten das vergessen? Haben sie vergessen, dass unser Reichsgesetz immer noch die Constitutio Criminalis Carolina ist, die Zauberei nur dann unter Strafe stellt, wenn ein nachweislicher Schaden zugefügt wurde? Da kann man einem Witekind doch nur Recht geben, wenn er die üblichen Verfahren bei Hexenprozessen als Rechtsbrüche bezeichnet und den viel zu häufigen Einsatz der Folter anprangert.»
«Lieber Anselm, zweifelst du etwa an der Berechtigung der peinlichen Befragung? Wie sonst soll ein Delikt aufgeklärt werden, wenn es keine Zeugen und Indizien gibt und du nicht auf längst überholte Mittel wie die Wasserprobe zurückgreifen willst? Bei Hexerei hast du es schließlich mit einem crimen exeptum zu tun, da kannst du die Leute bei der peinlichen Befragung nicht mit Samthandschuhen anfassen. Außerdem hat der Mensch selbst in der Marter immer noch die Freiheit, zwischen Lüge und Wahrheit zu wählen.»
«Selbst Unschuldige zwingt der Schmerz zu lügen! Ist die Marter nur grausam genug, sagt er dir alles, was du hören möchtest. Sogar Molitor hat davor gewarnt, und er war immerhin bischöflicher Prokurator in Konstanz. Aber darauf wollte ich gar nicht hinaus. Diesen ganzen Tatbestand der Hexerei halte ich für eine Seifenblase. Wenn du mit der Nadel deines Verstandes hineinstichst, zerplatzt dieses ganze Denkgebäude zu einem Nichts. Witekind ist der Meinung –»
«Hör mir doch auf mit diesem Calvinisten», unterbrach ihn Wimmerlin schroff.
«Du vergisst, dass sich dieser Calvinist bei seiner Argumentation auf den Canon Episcopi unserer katholischen Kirche bezieht! Dort wird der Hexenflug ausdrücklich als ein Irrglaube bezeichnet, der an sich bereits eine Sünde sei. Was sind denn diese alten Weiber anderes als kranke Seelen mit Wahnvorstellungen, denen geholfen werden muss? Frauen, die sich aus innerer Not oder Armut dem Teufel verschrieben haben? Hast du selbst oder irgendwer, den du mir mit Namen nennen kannst, schon einmal eine Hexe durch die Luft fliegen sehen? Oder wie erklärst du dir das folgende Phänomen: Eine Angeklagte liegt schlafend oder bewusstlos im Kerker und erzählt beim Erwachen, sie sei eben bei einem Sabbat gewesen. Wie denn, wenn sie doch in eisernen Ketten liegt?»
«Na und? Dann war es eben ihre Seele, die sich vom Leib getrennt hat und durch die Luft geflogen ist. Lass gut sein, Anselm, in all deinen Reden höre ich doch nur deine Glaubensgenossen Weyer, Witekind, Goedelmann und wie sie alle heißen heraus. Ich will dir mal etwas sagen: Diese Leute wären vor hundert Jahren als Ketzer verbrannt worden, und ich halte es für einen Fehler, dass sie heutzutage ihr Maul in aller Öffentlichkeit aufreißen dürfen. Und was deine Theorie der seelischen Krankheit betrifft: Eben solche Krankheiten sind doch auf einen Pakt mit dem Teufel zurückzuführen. Genau da kommen wir endlich auf den Punkt: Wer sich aus Schwäche im Glauben und im Denken – und wie die Erfahrung zeigt, sind dies in der Mehrzahl Frauen – auf einen Teufelspakt einlässt, begeht eine der schlimmsten Gotteslästerungen und verdient allein dadurch schon den Tod. Meiner Meinung nach gehen die Freiburger Gerichte viel zu behutsam gegen solche Leute vor, bisher wurden noch keine zwei Hand voll der Angeklagten der Hexerei überführt. In Trier oder Lothringen ist man da viel konsequenter.»
Bleib ruhig, Anselm, dachte Catharina in der Küche, dieser Disput ist doch zwecklos. Doch wie sie es vorausgesehen hatte, wurde er jetzt wütend.
«Diese Massenhinrichtungen nennst du konsequent?» Anselm schlug mit der Faust auf den Tisch. «Für mich ist das eine von Menschenhand geschaffene Hölle. In Trier kommt es ständig zu neuen Missernten, denn die Felder liegen brach, weil es kaum noch Bauern und Winzer gibt. Das Volk lechzt nach Blut, die Notare, Schreiber und Schankwirte werden reich, die Richter und Landesherren teilen sich die Besitztümer der Verurteilten. Der Scharfrichter reitet auf edlen Rössern daher, in Gold und Silber gekleidet, und sein Weib staffiert
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