Die Hexe von Freiburg (German Edition)
hundertdreißig weitere Bürger, größtenteils Frauen, wegen Hexerei verbrannt. Oder vor einigen Jahren in Waldkirch: Da haben vier Hebammen gestanden, dem Teufel zum Geschenk Neugeborene und Wöchnerinnen umgebracht zu haben. Dabei weiß doch jeder, an welch seidenem Faden das Leben in den ersten Stunden hängt. Welche Ohnmacht, vielleicht sogar Verzweiflung muss eine Hebamme bei jedem Todesfall erfassen. Da braucht es doch nicht viel, um in ihnen Schuldgefühle bis hin zur Selbstbezichtigung anzufachen. – Wenn ich doch nur endlich Jurist wäre und man mir bei diesen Prozessen Gehör schenken müsste.»
Anselm wirkte mit einem Mal niedergeschlagen und setzte sich zu den Frauen an den Tisch.
«Wenn es so wäre, wie Ihr sagt – wer könnte denn einen Vorteil daraus ziehen, Unschuldige zu verurteilen?», fragte Elsbeth, die scheinbar unbeteiligt Töpfe und Pfannen geschrubbt hatte.
In diesem Augenblick trat Christoph ein, staubig und verschwitzt von seinem langen Ritt.
«Hier wird ja richtig disputiert», sagte er gut gelaunt. Dann sah er die ernsten Gesichter. «Ist etwas passiert?»
«Man hat wieder eine Frau wegen Hexereiverdachts eingesperrt.»
Anselm stand auf.
«Es ist alles so sinnlos», murmelte er. «Seid mir nicht böse, wenn ich mich aus dem Staub mache. Ich gehe noch auf einen Schluck hinüber ins Schneckenwirtshaus.»
Catharina sah ihm nach. «Manchmal ist es mir fast unheimlich, dass er sich den ganzen Tag mit solch ernsten Dingen beschäftigt.»
Christoph nickte nur. Er wirkte so, als würde er vor Ungeduld gleich platzen. Endlich zogen sich auch Barbara und Elsbeth zurück.
«Du kannst doch kaum erwarten, mir etwas mitzuteilen. Hat dir dein Schwiegervater die Erlaubnis gegeben, mich zu heiraten?», fragte Catharina mit ironischem Unterton.
Christoph schüttelte den Kopf. «Das nicht. Aber ich erfülle dir einen anderen Wunsch. Rate!»
Catharina überlegte, doch ihr fiel nichts ein. Hatten sich nicht all ihre Wünsche in letzter Zeit erfüllt?
«Ich gebe dir einen Hinweis. Worum beneidest du meine Schwester Lene am meisten?»
«Um ihre Familie. Aber ich bin zu alt, um jetzt noch Kinder zu bekommen.»
Christoph lachte. «Du lässt es uns ja nicht mal versuchen. Nein, rate weiter.»
«Gut – außerdem beneide ich sie darum, dass sie mit ihrem Hauptmann so weit in der Welt herumkommt.»
«Schon besser.»
Sie sah ihn ungläubig an. «Heißt das, du willst mit mir verreisen?»
«Ja. Ich weiß zwar, dass du am liebsten das Meer sehen würdest, aber das ist ein bisschen weit. Wie wäre es mit dem Bodensee?»
Mit einem kleinen Freudenschrei fiel Catharina ihm um den Hals. «Was sagst du da? Wir reisen an den Bodensee? Du und ich? Wie lange werden wir weg sein?»
Plötzlich wich sie zurück. «Nein, das geht gar nicht. Hast du vergessen, dass ich regelmäßig die beiden Schenken beliefern muss?»
«Hab ich nicht. Das ist alles schon vorbereitet. Im August finden keine Vorlesungen statt, und bei meinem letzten Besuch habe ich mit Anselm besprochen, dass er dich in dieser Zeit für eine Woche vertritt. Er ist schließlich ein gescheiter Bursche und wird wohl in vier Wochen lernen, wie man Bier braut. Außerdem kannst du ja ein bisschen auf Vorrat produzieren. Anselm jedenfalls war begeistert von dem Vorschlag.»
«Willst du damit sagen, dass es in vier Wochen schon losgeht? Wie kommt man überhaupt an den Bodensee?» Sie konnte es immer noch nicht fassen.
«Ich werde dir morgen eine Karte zeigen und die Wegstrecke erklären. Zuerst dachte ich daran, dir ein zuverlässiges Pferd zu besorgen, damit wäre das Reisen am einfachsten. Aber du bist es nicht gewohnt, den ganzen Tag im Sattel zu sitzen, und das könnte dir die Reise zur Qual werden lassen. Ich habe einen Fuhrunternehmer ausfindig gemacht, der uns den größten Teil der Strecke, nämlich bis Schaffhausen, mitnimmt. Von dort werden wir weitersehen. Auf dem Rückweg können wir rheinabwärts auf Flößen oder Lastkähnen mitfahren.»
«Das klingt alles wunderbar!» Sie dachte an ihre abenteuerliche Reise als junges Mädchen zu Christoph nach Villingen. «Und ich muss keine Angst haben, an einen zudringlichen Wollhändler zu geraten.»
Christoph sah zu Boden. Mit Anspielungen auf ihr Wiedersehen damals vor dem Gasthaus seines Schwiegervaters konnte Catharina ihn jedes Mal aufs Neue beschämen. Sie bereute ihre Bemerkung. Als er den Kopf hob und sie zaghaft auf den Mund küsste, erwiderte sie seinen Kuss – zum ersten Mal, seit
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