Die Hexe von Freiburg (German Edition)
Gespenster, Hexen, Missgeburten, Erdbeben, Feuerzeichen am Himmel, dreiköpfige Gesichter in den Wolken und so viele andere Zeichen göttlichen Zorns? An vielen Orten verbrennt man diese verderblichen Unholdinnen des Menschengeschlechts –»
Unruhe breitete sich im Kirchenschiff aus, einige der Umstehenden bekreuzigten sich, andere riefen: «Ins Feuer mit den Hexen !» Bestürzt verließen Elsbeth und Catharina vorzeitig den Gottesdienst. Catharina fiel der Lieblingsspruch ihrer toten Freundin ein: Die Hölle ist nie so heiß, wie sie die Pfaffen machen!
Sie hakte sich bei Elsbeth unter.
«Lass dich von den Predigten nicht verwirren. Du weißt doch, was Barbara immer gesagt hat: Alles, was von Teufel und Hölle gepredigt wird, soll die Leute erschrecken, um ihnen besser das Geld aus der Tasche zu ziehen.»
Doch Elsbeth besaß nicht Barbaras forsches Gemüt. Sie wirkte vollkommen verunsichert.
«Vielleicht ist doch etwas dran an all diesen Reden. Vielleicht sucht sich der Teufel gerade die anständigsten, bravsten Seelen für seine Verführungskünste aus, um damit Gott umso mehr herauszufordern.»
Zwar mied Elsbeth in den nächsten Wochen den Gang zur Kirche, aber die Rufe der Eiferer waren auch in den Gassen überall zu hören: Wanderprediger und selbst ernannte Hexenbanner kletterten auf Brunnenränder, Holzpodeste oder Ochsenkarren, um mit donnernder Stimme vor der allgegenwärtigen Gefahr zu warnen oder probate Mittelchen gegen Hexerei anzupreisen: «Kauft Schutzbriefe! Hufeisen aus geschmiedetem Eisen! Gallensteine!» Trotz der eisigen Kälte drängten sich die Menschen in dichten Trauben um sie, und zu ihrem Schrecken erblickte Catharina immer häufiger Elsbeth unter den Zuhörern, sah, wie die alte Frau erregt den drastischen Schilderungen von Hexensabbaten und Teufelsbuhlschaften lauschte oder ehrfurchtsvoll die Amulette und anderen Gegenstände zur Hexenabwehr betrachtete. Auf großen Tüchern ausgebreitet lagen da geweihte Kräuterbüschel neben Korallenästen gegen den bösen Blick, Lochsteine zum Aufhängen neben den begehrten Drudenmessern, Klappmesser, auf deren Klingen Kruzifixe, Mondsicheln und die Kreuzesinschrift INRI eingraviert waren. Tierzähne und Mardergebisse, Maulwurfspfoten und Kaurimuscheln – schier unerschöpflich schienen die Möglichkeiten, sich gegen bösen Zauber zu schützen. Einmal beobachtete Catharina, wie Elsbeth ein Drudengatterl aus geweihtem Holz in die Hand nahm. Es bestand aus sieben dünnen Holzleisten, die kreuzweise zu einem kleinen Gatter verleimt waren. Sie zählte bereits die Münzen aus ihrem Beutel, als plötzlich ein schriller Pfiff ertönte. In Windeseile verknoteten die Hexenbanner ihre Schätze in ihren Tüchern, um gleich darauf im dichten Gedränge zu verschwinden. Wer nicht schnell genug war, den erwischten die Stadtknechte, die durch das Marktgeschehen patrouillierten. Sie hatten Order, jeden dieser Händler in den Turm zu werfen, denn nur die Kirche besaß das Recht, Hilfsmittel gegen Hexerei und schwarze Magie anzubieten.
An jenem Tag wollte Catharina ein Schock Eier kaufen. Sie wunderte sich, dass außer bei einem Großhändler aus Herdern nirgendwo Eier zu kaufen waren.
«Nehmt mit, soviel Ihr könnt. Ich gebe Euch das Schock für einen halben Pfennig!»
«Tut das nicht», flüsterte eine alte Frau neben ihr. «Hier in der Stadt sind Hexen aufgetaucht, die Eier legen und auf den Markt bringen, um die Leute zu vergiften!»
Kopfschüttelnd ging Catharina nach Hause. War denn alle Welt verrückt geworden?
Anselm sah die Entwicklung mit Entsetzen. Ende Januar war es tatsächlich zu den ersten Verhaftungen gekommen – die Frau eines Rebmanns und eine Pfaffenmagd wurden eingekerkert. In der juristischen Fakultät sprach man von nichts anderem mehr als von den Verfahrensvorschriften bei Hexereiprozessen. Die Lectiones der Freiburger Rechtsgelehrten waren in diesen Tagen so gut besucht, dass auf den Bänken des Auditorium maximum keine Fliege mehr Platz gefunden hätte. Selbst Mediziner und Theologen ließen sich die Ausführungen zu Fragen, ob bei Hexenprozessen die eigentlich verbotene wiederholte Folter rechtmäßig sei oder ob Gerüchte und Besagungen gefolterter Hexen für die Verhaftung einer verdächtigen Person ausreichten, nicht entgehen. Anselm saß jeden Vormittag wie auf Kohlen, so heftig widersprachen die Begründungen und Rechtfertigungen, die er hörte, seinem Empfinden. Schließlich konnte er sich nicht mehr zurückhalten,
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