Die Hexe von Freiburg (German Edition)
Bote zu dienen. Und das in ihrem Alter! Sie muss damals schon weit über fünfzig gewesen sein. Doch sie kannte einige der Rebellen und war fest entschlossen herauszufinden, was es mit der Bedrohung durch die Bauern auf sich hatte.»
«Vielleicht war sie auch nur in einen von ihnen verliebt», kicherte Lene.
«Als sie sich auf den Weg zu den Belagerern machen wollte», fuhr ihre Mutter fort, «wurde sie von ihren Verwandten flehentlich gewarnt, der Teufel werde sie totschießen, sie aber lief schnurstracks zum Predigertor. Dort ließen sie die Wachen natürlich nicht durch, aber sie kannte eine geheime Pforte. Als sie auf den Trattmatten, wo die Bauern ihr Lager aufgeschlagen hatten, ankam, tat sie so, als wolle sie Gras fürs Vieh sammeln. Bald sah sie einige bekannte Gesichter und kam mit den Aufständischen ins Gespräch. An deren Gedanken fand sie nichts Schlechtes: dass sie alle vor Gott gleich seien, ob Geistlicher oder Adliger, Bürger oder Bauer, und dass sie am Jüngsten Tag allesamt nach ihren Taten und nicht nach ihrem Stand gerichtet würden. Und wo in der Heiligen Schrift stünde geschrieben, dass nicht auch ein Schneider oder ein Bauer als Amtswalter gewählt werden könne? Sie nahm bereitwillig einen Brief mit, den sie der Obrigkeit übergeben sollte, ohne sich zu erkennen zu geben. Anschließend zog sie durch die Gassen und verkündete lauthals, dass Hunderte von Menschen vor den Toren lagerten, die gut ausgerüstet seien und den gemeinen Mann nicht schädigen wollten. Man möge sich ihnen doch anschließen, sie forderten nichts Unrechtes, sondern gemilderte Abgaben, freien Zugang zum Wald, zu Fischgründen und Gewässern, die Wahl ihres Pfarrers sowie die Besetzung von Ämtern und Dorfgerichten.»
«Mich wundert, dass sie bei diesen Predigten nicht gleich von der Stadtwache festgenommen wurde», warf Christoph ein.
«Die Stadtwache war wohl zu sehr mit dem Sichern der Tore und Stadtmauern beschäftigt, als dass sie sich um eine verrückte alte Frau kümmern konnten. Jedenfalls hat sie ein Jahr später irgendwer angeschwärzt. Sie musste vor Gericht und berichtete dort freimütig, wie sich alles zugetragen hatte. Wegen Landesverrats wurde sie anschließend zum Tode verurteilt, nur hatte von den Gerichtsherren niemand damit gerechnet, was für eine beliebte und angesehene Frau eure Urgroßmutter in Lehen war. Selbst der damalige Grundherr schickte eine Bittschrift, man möge doch die gute Frau laufen lassen. So kam sie mit einer Geldstrafe von hundert Gulden davon – was sie allerdings an den Rand der Armut gebracht hat.»
Catharina war beeindruckt vom Mut dieser Frau. Abgesehen von Tante Marthe, der Schulmeisterswitwe und, leider Gottes, ihrer schrecklichen Stiefmutter kannte sie nur Frauen, die sich von ihrem Mann oder ihrem Vormund gängeln ließen. Hatten sich die Zeiten geändert, oder war auch Agnes eine Ausnahme gewesen?
4
Bis Anfang März lag Schnee. Die Bauern warteten ungeduldig auf den Moment, wo sie mit Pflügen beginnen konnten. Auch Christoph konnte das Frühjahr kaum erwarten. Er brannte darauf, Catharina zur Lehener Kirchweih an Ostern zum Tanz auszuführen. Etwas hatte sich verändert zwischen ihm und seiner Base. Das Unbekümmerte, Arglose in ihrem Verhältnis war seit einiger Zeit einer unerklärlichen Spannung gewichen. Sie wich seinem Blick aus und vermied es, mit ihm allein zu sein. Womöglich war er ihr an ihrem Geburtstag zu nahe getreten – da hatte er allen Mut zusammengenommen und ihr die zierliche Flöte überreicht, die er an den Winterabenden geschnitzt hatte. Vor allem: Er hatte sie geküsst, wenn auch nur unbeholfen und flüchtig auf die Wange.
Endlich schmolz der Schnee, und binnen weniger Tage hatte die Frühlingssonne die aufgeweichte, schwere Erde getrocknet. Überall wurden Pferde und Ochsen eingespannt und das Saatgut in die Leinenbeutel gefüllt. Marthe gab ihr Pferd wie jedes Jahr dem Heißler Jakob, der seine winzigen Felder hinter dem Mooswald hatte und kein eigenes Zugtier besaß. Catharina und Christoph sollten das Tier bei der Feldarbeit führen.
Es war ein herrlicher Morgen, als sie das Pferd auf den Acker brachten. Zarte Federwolken zogen über den hellblauen Himmel, die Luft war frisch und kühl. Catharina schloss die Augen und reckte ihr Gesicht den Strahlen entgegen.
«Weißt du, was ich glaube?»
«Nein.» Christoph betrachtete gebannt ihre langen seidigen Wimpern, die auf ihrer alabasterfarbenen Haut nicht schwärzer hätten schimmern
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