Die Hexe von Freiburg (German Edition)
Tante neben dem umgestürzten Pferdekarren gefunden hatte.
«Es muss ein Überfall gewesen sein. Das Pferd ist weg.»
Sofie starrte vor sich hin. «Sie wollte dir entgegenfahren. Die Männer wollten sie nicht bei der Obsternte mithelfen lassen, weil sie in letzter Zeit nach schwerer Arbeit Herzschmerzen bekam. Durch das offene Fenster hab’ ich gehört, wie sie sagte: ‹Wenn es für mich nichts zu tun gibt, geh ich meine Cathi abholen.› Christoph wollte das nicht zulassen, wegen der vielen Überfälle in den letzten Jahren, aber Marthe lachte nur und meinte, sie würde die große Peitsche mitnehmen und jedem, der ihr zu nahe käme, eins über die Nase ziehen.»
Jetzt fing auch Sofie an zu weinen.
Catharina ergriff heftiger Schwindel. Wäre sie nicht nach Lehen gekommen, würde Tante Marthe jetzt in der Küche stehen und für ihre Familie und die Erntehelfer ein kräftiges Mahl zubereiten. Mühsam richtete sie sich auf und ging wieder in den Hof.
Eine Menschentraube stand um die Strohschütte. Catharina verschwamm alles vor Augen: Wie in einem dichten Nebel sah sie mal die Gestalt des Pfarrers und des Wundarztes, mal die von Christoph oder den Zwillingen auftauchen. Stand da nicht auch der alte Krämer aus Betzenhausen? Wieso lief ihm Blut über Stirn und Wange? Catharina trat näher.
«Es waren zwei kräftige Männer», hörte sie seine aufgeregten Worte, «beide mit langen Dolchen bewaffnet. Ich stand zufällig hinter einem Busch, um zu pinkeln. Die Stadellmenin schrie, sie sollten sich nehmen, was sie wollten, und sich dann zum Teufel scheren. Ich wollte schon weglaufen – na ja, der Kräftigste bin ich ja auch nicht mehr. Aber dann sah ich, wie der eine sie gegen den Karren stieß und auf sie einstach, nochmals und nochmals, bis das Blut spritzte. Dabei wehrte sich die arme Frau doch gar nicht! Da bin ich auf sie zugestürzt, um ihr zu helfen, aber ich bekam einen Schlag auf den Kopf und bin erst wieder in einem Graben zu mir gekommen. Ich schwöre euch, ich habe diese Kerle hier noch nie gesehen.»
Catharina wandte sich ab. Der Dorfchirurg hatte inzwischen die Wunden mit verdünntem Branntwein gereinigt und einen Druckverband angelegt. Marthe war wieder zu sich gekommen. Vorsichtig trugen die Männer sie hinauf in ihr Zimmer und legten sie ins Bett. Bis auf den Pfarrer verließen alle den Raum und warteten in der Diele.
«Sie hat mindestens fünf Stichwunden», sagte der Wundarzt. «Eine davon knapp unterhalb des Herzens. Sie hat viel Blut verloren, aber ein junger Mensch würde das überleben.» Dann schwieg er. Christoph sagte immer noch kein Wort, und so nahm Catharina alle Kraft zusammen und fragte: «Und Tante Marthe? Wird sie es überleben?»
«Sie hat ein schwaches Herz, und der Schreck war zu groß. Ich fürchte, der Herr Pfarrer muss jetzt seine Arbeit machen. Es tut mir sehr Leid.»
Christoph lehnte sich gegen die Wand, dann gaben seine Knie nach und er rutschte langsam zu Boden. Der Chirurg klopfte ihm ein paarmal mit dem Handrücken fest gegen die Wangen und flößte ihm Kräuterwein ein. Catharina nahm seine Hand.
«Christoph. Deine Mutter braucht dich jetzt.»
Er nickte. In diesem Moment ging die Tür auf, und der Pfarrer erschien. «Ihr könnt jetzt eintreten. Sie ist bei sich.»
Christoph ließ Catharinas Hand nicht los, als er sich auf den Bettrand setzte. Seine Brüder knieten sich auf die andere Seite. Marthe hatte jetzt wieder etwas Farbe im Gesicht und sah aus wie jemand, der nach harter Arbeit sehr erschöpft ist. Ihre Augen waren geschlossen.
«Sprich mit ihr, sie hört dich bestimmt», sagte Catharina. Da legte Christoph seine Wange an die seiner Mutter und redete leise auf sie ein. Der Pfarrer räumte seine Utensilien für die Letzte Ölung zusammen. Aus dem geöffneten Fenster hörte man schwere Regentropfen auf die Blätter der Obstbäume klatschen, ein kleiner Zeisig kam neugierig auf die Fensterbank geflogen und legte den Kopf schief, als ob er auf den Tod dieser Frau wartete.
Marthe bewegte die Lippen. «Kommt – Lene?»
«Bestimmt», sagte Christoph. «Sie muss jeden Moment hier sein.»
Noch vor Sonnenuntergang starb Tante Marthe. Catharina blieb über Nacht, um mit Christoph und seinen Brüdern Totenwache zu halten. Auch Sofie ließ es sich nicht nehmen, dabei zu sein. Man hatte sie in warme Decken gepackt und in einen Lehnstuhl gesetzt.
Marthes letzte Worte waren gewesen: «Bleibt zusammen.» Niemand wusste, wen sie damit gemeint hatte.
21
Meine Mutter
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