Die Hexe von Freiburg (German Edition)
hielt sich seine Freude jetzt in Grenzen, denn er bedauerte zutiefst, dass sein Vater diesen Erfolg nicht mehr erleben durfte. Wenn er nicht gerade ins Wirtshaus ging, saß er abends mit Catharina im Esszimmer und schilderte die teilweise unsinnigen Verordnungen, über die im Magistrat dreimal die Woche heftig disputiert wurde. Es ging um Tierhaltung innerhalb der Stadtmauern: Wer durfte sich Esel, wer Geißen und Schweine halten? Oder um eine neue Badeordnung: Sollte das Baden von Mann und Weib in einem gemeinsamen Zuber verboten werden, nachdem in den Nachbarstädten Fälle von «morbus gallicus», auch Franzosenkrankheit genannt, aufgetreten waren? Zur stärkeren Kontrolle der Bürger sollten bei Kinds- und Tauffesten nur noch Kuchen, Obst, Käse, Brot und einfacher Wein gereicht werden. Bei einer anderen Sitzung musste ein neuer Strafkatalog für Rüpeleien und Beschimpfungen erstellt werden, und die Stadtwache bedurfte strengerer Vorschriften, denn sie ging zu nachlässig gegen abendliche Tänzer und Musikanten auf der Straße vor.
«Heute haben wir entschieden, dass in den Sommermonaten nach neun Uhr abends niemand mehr außerhalb seines eigenen Hauses tanzend, spielend oder trinkend angetroffen werden darf.»
Catharina musste wider Willen lachen. «Da hast du dir ja selbst den Zapfhahn zugedreht!»
Michael grinste breit. «Ich habe dir doch erklärt, wie das mit manchen Verordnungen ist: Sie sind nicht für jeden Bürger gleich auszulegen.»
Anfangs, als alles noch neu war, machte er sich oft lustig über seine Tätigkeit im Magistrat. So setzte er sich eines Abends mit einer langen Liste an den Tisch.
«Du glaubst nicht, Catharina, wie viel überflüssige Zeit und wie viel Stroh im Kopf manche Leute haben. Schau her: Unser Pfarrherr im Münster, ein gelehrter Mann und Doktor, schickt uns mindestens einmal die Woche eine Liste mit Beschwerden ins Rathaus. Beschwerden über Vorkommnisse, die wir gefälligst umgehend durch neue Verbote aus der Welt schaffen sollen. Zum Beispiel beschwert er sich, dass Bräute mit geschwängertem Leib zur Trauung gehen. Oder dass die Krämerläden an Sonn- und Feiertagen geöffnet sind. Dass die Leute ihre Hunde mit in den Gottesdienst nehmen. Dass die Mönche vom Antoniterorden überall ihre Schweine herumlaufen lassen. Oder hier: Die öffentlichen Tänze zu den Marktzeiten und das Gassenstehen der Dienstboten seien umgehend zu verbieten.»
Er ließ das Blatt sinken und lachte: «Du solltest Elsbeth und Barbara Anweisung geben, ihre Einkäufe im Laufschritt zu erledigen.»
Catharina gefielen seine Schilderungen der Ratssitzungen, und sie freute sich, dass sie über diese Gespräche wieder zueinander fanden. Endlich schien sich im Haus zum Kehrhaken so etwas wie ein Familienleben zu entwickeln. Doch schon wenige Wochen später merkte sie, wie er diese kleingeistigen Auseinandersetzungen immer ernster nahm.
Zur Zeit der Obsternte wollte Catharina ihrer Tante in Lehen beim Einkochen helfen. Sie war früh auf den Beinen. Da Christoph und die anderen alle Hände voll zu tun hatten, konnte niemand sie abholen, und so marschierte sie zusammen mit zwei Frauen und einem alten Bauern die Landstraße hinunter. Catharina war das recht, denn ihre Schwangerschaft näherte sich dem Ende. In der zweiten Oktoberhälfte sollte ihr Kind zur Welt kommen, und wer sie gut kannte, dem fielen die Veränderungen an ihrem Äußeren sofort auf. Zwar war ihr Bauch nicht übermäßig rund und unter viel Stoff verborgen, doch ihr Gesicht war voller geworden, ihr Gang schwerer, und sie geriet schnell außer Atem. Dazu trug auch die Bauchbinde bei, die sie außerhalb ihres Zimmers stets anlegte. All das würde Christoph, der sie schon einige Wochen nicht mehr gesehen hatte, sofort bemerken. Ihm gegenüber schmerzte sie das Lügen am meisten, doch war er der Letzte, dem sie hätte offenbaren können, dass sie ein Kind von Benedikt in sich trug.
So würde sie wieder Lügen und Ausflüchte erfinden müssen, wie schon so häufig in den letzten Wochen. Er hatte sie große Überwindung gekostet, dieser Marsch nach Lehen. Doch erstens konnte sie ihrer Tante und den anderen nicht ewig aus dem Weg gehen, und zweitens: Lene wollte am nächsten Tag mit ihrem kleinen Matthias zu Besuch kommen. In Lene setzte Catharina ihre ganze Hoffnung.
Am Himmel hingen regungslos schwere Wolken, die Vögel schwiegen, und außer der kleinen Gruppe von Reisenden war kein Mensch unterwegs. Catharina war diese Stille unheimlich.
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