Die Hexe von Paris
André Lamotte, alias Petronius, und tat, als sei er in ein Gespräch mit Florent d'Urbec, dem Zensor Cato, vertieft. Letzterer, in seinem weiten Überzieher, den schwarzen Hut auf dem Kopf, nickte als Antwort auf Petronius' ausladende Gebärden und sah dann jedesmal zum Fenster hinauf. Der Überzieher hatte große Taschen. Groß genug für ein Buch, dachte ich, fing seinen Blick auf und winkte. Er zupfte Petronius am Ärmel und deutete zum Fenster. Da zog er das Buch aus seiner Tasche, und beide zeigten darauf, als er es in die Höhe schwenkte. Ich gestikulierte schweigend zurück und wies in Richtung des Hoftores.
»Schwester, du wirst gewiß nicht hingehen und mit ihnen sprechen.« Marie-Angélique legte ihr Nähzeug hin und sah mich mißbilligend an.
»Aber natürlich. Sie haben ein Buch mitgebracht – über römische Philosophie –, das Vater aufheitern wird«, flüsterte ich verschwörerisch. »Erzähle also niemandem, daß ich so ungehörig war, es ist für eine gute Sache.« Und nachdem Marie-Angélique Schweigen gelobt hatte, eilte ich die Stiege hinab und hinkte flugs über das unebene Kopfsteinpflaster des Hofes. Suzette, die Wasser aus dem Brunnen schöpfte, hielt in ihrem Tun inne und warf mir einen verständigen Blick zu. Ich traf die beiden, die sehr selbstzufrieden dreinblickten, außerhalb der schmalen Pforte an dem großen, verriegelten Kutschentor.
Lamotte, den Schnurrbart verwegen gewichst und die Stiefel geputzt, wies mit großer Geste auf seinen dunkelhäutigen, finsteren Freund.
»Wir haben es hier«, verkündete er wichtigtuerisch. »Unter unsäglichen Kosten und Mühen erworben, seltener noch als die goldenen Äpfel der Hesperiden.«
»So wie Hippomenes Atlanta in Versuchung führte, so werfe ich es Euch zu Füßen«, verkündete d'Urbec mit diesem verwirrenden, wissenden Blick.
»O nein, nicht hinwerfen, um Himmels willen!« Ich hatte für nichts Augen als für das Buch.
»Ich? Ein Buch hinwerfen? Respektiert meine Floskeln der Redekunst, aber denkt so etwas nicht von mir, ich bitte Euch.« Ich wüßte gern, welche Bücher er sonst noch hat, dachte ich. Dann errötete ich, als ich sein kleines Halblächeln sah. Er hatte mich durchschaut. Ich verspürte einen schrecklichen Drang, ihm das Buch zu entreißen und fortzulaufen.
»Ah, nein, habgierige Schwester der göttlichen Marie-Angélique. Zuerst ein Brief«, verkündete Lamotte, zog ein gefaltetes, versiegeltes Blatt aus seiner Hemdbrust und drückte es mir in die Hände.
»Ihr übervorteilt mich, Monsieur Lamotte.«
»Aber gewiß hat Eure großmütige Gunst – oh, pardon, war ich zu unziemlich in Eurer Stunde des Grams? Ich sehe, Ihr seid in Trauer. Meine glühende Flamme hat mich blind gemacht für die gesellschaftlichen Schicklichkeiten. Ich hoffe, Euer Vater hat nicht allzusehr gelitten.«
»Es ist nicht Vater, es ist Großmutter. Wir haben sie gestern begraben. Doch woher wißt Ihr, daß Vater krank ist?«
»Es ist mir ein Anliegen, alles zu wissen, was im Hause meines lieben Engels vorgeht.«
Ich wandte mich ihm erzürnt zu. »Wen von den Dienern habt Ihr bezahlt?« fragte ich. Er errötete. »Ah, Ihr habt nicht bezahlt – ich hätte es mir denken können. Es ist eine Frau, die Ihr mit Schmeicheleien beschwatzt habt. Suzette?«
»Das verrate ich nicht.« Er lachte – dann aber sah er zum Haus hinauf, und sein Gesicht wurde blaß. »Könnt Ihr mir nicht sagen, ob ich hoffen darf? Mag sie nicht einmal mit mir sprechen?« rief er mit gequälter Stimme.
»Ihr kennt die Antwort. Mutter hat Euren Namen gehört. Sie hat Erkundigungen eingeholt.«
»Und sie hat – alles erfahren?«
»Genug, um Euch die Türe zu verschließen. Ihr könnt hier nicht empfangen werden, Monsieur Lamotte.« Lamotte schien verzweifelt. D'Urbec, der sich stets in der Gewalt hatte, nahm den Arm seines Freundes.
»Kopf hoch, Lamotte. Der Tag wird kommen, da du überall empfangen wirst.« Da ich überall empfangen werde, meinte er wohl. Ich wollte ihm antworten, Monsieur Provinzler, erkennt die Wahrheit: Die Gesellschaft steckt uns in kleine Schubladen, aus denen wir nicht herauskönnen. Ihr könnt im Hause Pasquier sowenig empfangen werden wie ein Pasquier in Marly. Daß Ihr alles wißt, bedeutet nicht, daß Ihr es ändern könnt.
»Und so bläst der Drache, der das mysteriöse Pasquiersche Vermögen bewacht, seinen Feueratem auf den unerschrockenen Prinzen, von dessen wahrer Natur er nichts weiß –«
»Wenn Ihr auf ein Vermögen aus seid,
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