Die Hexe von Paris
sucht Ihr besser woanders. Das einzige Vermögen, das dieses Haus hat, ist ein Vermögen an Schulden.«
»Seid Ihr gewiß? Ihr scherzet nicht, nein?« Er sah mich eindringlich an.
»Keineswegs.«
»Hast du das gehört, d'Urbec? Keine heimliche Mitgift in Amsterdam, keine Geheimverhandlungen mit einer muffigen Familie von Rechtsgelehrten.« Er klopfte seinem Freund auf den Rücken. D'Urbec fuhr zusammen. »Ich habe Hoffnung! Mein armer goldhaariger Engel! Ich bin es, ich, André Lamotte, der Euch vor Eurem grausamen Geschick erretten wird.«
»Ihr scheint mir zu jung, um wahnsinnig zu sein, Monsieur Lamotte«, sagte ich.
»Verrückt, o ja. Verrückt aus Liebe. Tausend, tausend Dank!« Er begann mitten auf der Straße herumzutollen wie ein Geisteskranker.
»Hat er das öfter, Monsieur d'Urbec?«
»Nur, wenn er sich einem Paar unerreichbarer blauer Augen gegenübersieht, Mademoiselle«, entgegnete d'Urbec. »Was mich angeht, der ich es noch nicht zu Berühmtheit und Wohlstand gebracht habe, vermeide ich Kummer, indem ich davon absehe, etwas zu erstehen, das meine Mittel übersteigt.« Aber wie alles, was er sagte, schien auch dies eine doppelte Bedeutung zu haben. Ich wechselte das Thema.
»Das Buch, ist es wirklich das ›Satyricon‹?«
»Das ist es fürwahr, und laßt Euch von mir sagen, Ihr habt einen sehr ungehörigen Geschmack, auch wenn Ihr Latein lest.« Ich fühlte mein Gesicht über und über heiß werden.
»So ungehörig ist es gar nicht, nicht wahr? Ich war einfach neugierig, versteht Ihr.«
»Neugierde. Ein großes Laster. Sie führt zum Öffnen von Briefen, von dort zum In-die-Karten-Schauen und sodann zu den Astrologen«, sagte er, indes er das Buch in meine begierigen Hände legte.
»Ein Philosoph sollte sich gewiß nicht so weit erniedrigen, einen Schundroman wie ›Célinte‹ zu lesen«, bemerkte ich.
»Es ist die Pflicht der Philosophen, alles zu kennen. Das gilt insbesondere für Philosophen, die damit aufgewachsen sind, älteren weiblichen Verwandten vorzulesen. Aber ich muß Euch sagen, Mademoiselle, Ihr errötet sehr hübsch.« Er wandte sich unversehens ab, und mit gesenktem Kopf, die Hände in die Taschen geschoben, folgte er seinem verrückt tanzenden Freund durch die enge Straße.
KAPITEL 5
W as haben sie dir gegeben?« Marie-Angélique, die mich am Fuße der Hoftreppe erwartete, sah sich um, um sicherzugehen, daß niemand mithörte.
»Einen Brief für dich und ein Buch auf lateinisch, das Vater vielleicht freut. Komm heute mit mir und hilf mir vorlesen. Es wird zuweilen recht lang, und meine Stimme ermüdet.« Ich gab ihr den Brief, und sie knüllte ihn in ihr Mieder.
»Es ist viel zu bedrückend, bei Vater zu sitzen, und ich mache es gewiß schlecht. Ich kann ihn nicht aufheitern. Nicht halb so gut wie du, Geneviève. Überdies ist der Geruch so grauenhaft. Wenn du ihm vorgelesen hast, willst du dann nicht zu mir kommen und mir beistehen, mich zu zerstreuen? In dem Geschäft unter dem Bogen in der Galerie ist ein niedlicher kleiner Spitzenkragen, sein Anblick macht mich gleich fröhlicher. Wenn ich nicht mehr Trauer tragen muß, könnte ich mir das Mieder meines Kleides nach der neuen Mode ändern lassen, und dazu würde er prächtig passen. Chevalier de la Rivière bewundert mich in Spitzen. Mutter hat gewiß nichts dagegen, daß ich Jean meine Schleppe tragen lasse.«
»Dann lasse dich von Jean begleiten, Marie-Angélique. Der Anblick von Spitzenkragen und Silberschnallen vermag mich in diesen Tagen keineswegs aufzuheitern.«
Vaters Zimmer roch nach Arzneien und Krankheit. Die Fenster waren geschlossen und die Vorhänge zugezogen, um die schädliche Luft abzuhalten. Selbst die dunkelgrüne Farbe der Wände gemahnte an eine Medizinflasche, und das große dunkle Bett mit den zurückgezogenen Vorhängen wirkte wie das Gerippe eines Riesentieres. Da lag er in Hemd und Nachtmütze, zu schwach sogar für seinen Schlafrock. Auf der Frisiertoilette saßen seine Gesellschafts- und Alltagsperücken auf einer Reihe Holzständer wie körperlose, gesichtslose Köpfe, Zeugen seines qualvollen Kampfes, von der Erde zu scheiden. Die Türe seines Bücherschrankes neben dem Bett stand offen. Ich schlich auf Zehenspitzen hin und griff nach Seneca, dann setzte ich mich auf den Stuhl mit der geraden Rückenlehne, um vorzulesen. Doch schon nach wenigen Worten schien Vater zu schwach, um zuzuhören. Er langte nach meiner Hand. Er konnte den Kopf nicht von den Kissen heben.
»Geneviève,
Weitere Kostenlose Bücher