Die Hexengabe: Roman (German Edition)
Fahrt aufnahm, erst einmal alle Sturmschäden beseitigt werden sollten, bevor man die Verhandlung weiterführen würde.
»Verhandlung!« Der Missionar spuckte das Wort verächtlich aus und sah Rosa auffordernd an.
Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht bin ich ja eine Hexe?«, flüsterte sie. Hatte sie nicht schon vielen Menschen den Tod gebracht? Ihrem Vater, Giacomo, Siranush, und, wenn sie nicht rechtzeitig zurückkäme, auch ihren Schwestern.
»Es ist eine gottverdammte Schande, dass der Mast den Kapitän getroffen hat und er noch immer nicht aus seiner tiefen Ohnmacht erwacht ist. Er würde dem Reden des Profos Einhalt gebieten«, schimpfte Wolfhardt. »Aber dieser Erste Steuermann macht gemeinsame Sache mit ihm, und es gärt und brodelt vom Unterdeck nach oben. Die Mannschaft braucht einen Sündenbock für all die Entbehrungen, die sie zu leiden hatte.
Ich glaube, es wird eine Meuterei geben, wenn man euch beide nicht an die Rahe hängt oder über die Planken gehen lässt. Ihr müsst verschwinden, und zwar noch heute Nacht.«
»Das ist mir gleichgültig«, murmelte Rosa, »ich bin so müde.«
»Wolfhardt hat recht«, meinte der Missionar. »Rosa, wir müssen gehen, wir können hier nicht bleiben.«
»Ich werde sehen, was ich für euch tun kann«, sagte Wolfhardt. »Das wird diesem elenden Profos eine Lehre sein. Er hat mich gezwungen, seine Aussage zu stützen, indem er drohte, sonst vor dem Gericht der VOC am Kap der Guten Hoffnung zu behaupten, mein Suff hätte die halbe Mannschaft getötet.« Er seufzte. »Als Mann sollte ich wirklich mehr Mumm als Rum in den Knochen haben. Ich hab jedenfalls meine Lektion gelernt.«
Rosa war das egal. Was regten sich die beiden auf? Gott hatte ganz offensichtlich andere Pläne mit ihr, und sie würde nichts anderes mehr tun, als auf ihr Ende zu warten.
32. Kapitel
I hr müsst euch beeilen!« Kaum war die Sonne untergegangen, kam Wolfhardt in die Kajüte und schloss ihre Ketten auf. »Ihr müsst sofort das Schiff verlassen!«
»Das werden wir, doch vorher muss ich noch etwas aus dem Laderaum holen«, widersprach der Missionar.
Wolfhardt verdrehte die Augen. »Ihr müsst wahnsinnig sein! Dazu ist jetzt keine Zeit mehr.«
»Na gut, wenn ihr da absolut sicher seid, dann gehen wir.« Der Missionar wandte sich Rosa zu. »Komm!«
Rosa schüttelte den Kopf. »Geh allein – was brauchst du eine Hexe an Bord? Ich bleibe. Es ist doch zwecklos.«
»Unsinn. Es wäre Irrsinn zu bleiben«, mischte sich Wolfhardt ein. »Jeden Moment können die Männer kommen, ausgehungert und krank wie sie sind, um euch zu lynchen.«
»Es gibt nichts mehr, was sie lynchen können. Mir haben sie schon alles genommen.«
Der Missionar trat vor Rosa und schlug ihr ins Gesicht. »Jetzt ist es genug. Du hast eine Aufgabe zu erfüllen. Willst du nicht deinen Neffen aus Indien holen? Willst du dem elenden Profos in die Hände fallen?«
Der Schlag brannte und ließ Rosa nach Luft schnappen.
Der Arzt reichte ihr eine kleine Flasche. »Ich gebe dir meinen letzten Gin. Mehr konnte ich nirgends auftreiben, auch nicht für Gold.«
Rosa rieb sich ihre Wange und starrte den Missionar an.
»Warum hast du das getan?«
»Um dich daran zu erinnern, wer du bist. Reiß dich zusammen!«
Eine Löwin, dachte Rosa. Tränen stiegen ihr in die Augen. Waren all die Menschen, die ihr in der Vergangenheit geholfen hatten, gestorben, damit sie jetzt klein beigab?
»Aber die Mannschaft wird uns nachsetzen«, wandte sich der Missionar wieder an Wolfhardt.
»Ich werde die beiden anderen Schaluppen so beschädigen, dass sie euch nicht sofort verfolgen können. Ich behaupte einfach, das seien Sturmschäden. Und jetzt zögert nicht länger!«
»Rosa, willst du aufgeben?« Der Missionar wurde immer lauter, als Rosa nicht antwortete. »Herrgott noch mal, willst du deine Familie verraten? Willst du, dass der elende Dobkatz deine Mutter in den Schuldturm wirft?«
»Nein.« Rosa räusperte sich. Was fiel dem Kerl ein? Was wusste der schon, was wagte er es, sie anzuschreien, nach allem, was sie erlebt hatte! »Nein, das tue ich nicht.«
»Dann beweg deinen Hintern und komm endlich!«
Wolfhardt drängte sie zur Reling, wo Willem ihnen schon ungeduldig winkte.
»Unter Deck ist der Teufel los.« Willem tippte sich vielsagend an die Stirn. »Sie glauben jetzt, dass du eine Hexe bist. Der Profos erzählt, er hätte dich auf einem Besen ums Schiff fliegen sehen, und zwar zusammen mit diesem Teufel hier …« Willem
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