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Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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Pfähle, die wie anklagende schwarze Finger in die Luft ragten, Tränen liefen über ihr Gesicht, sie bekam keine Luft, das alles war ein Irrtum!
    Sie schleppte sich zu einem kleinen Treppchen. Bilder stiegen empor, wie Dorothea hier gesessen haben musste, lachend, mit ihrem Neffen im Arm, wie beider Füße die Treppe berührt hatten – während sie auf ihrer Reise herumgetrödelt hatte, anstatt sich zu beeilen. Sie setzte sich, berührte mit den Händen das Treppchen – die Steine waren locker. Sie griff nach einem und roch tränenblind daran.
    Nichts, natürlich nichts, nichts als Asche und Fäulnis und betäubend süße Blumen.
    Sie sprang wieder auf. Wenn Dorothea nicht hier war, wo war sie dann? War sie … tot?
    Nein!
    Nein, ihre Schwester konnte nicht tot sein! Niemals!
    Sie würde sie finden, egal, wo sie war!
    Vielleicht war diese Faktorei erst abgebrannt, nachdem Dorothea mit ihrer Familie schon längst woandershin gezogen war. Ja, so musste es gewesen sein. Und wohin, das herauszufinden war jetzt ihre nächste Aufgabe.
    Rosa hatte plötzlich das Gefühl, sich beeilen zu müssen, keinen Atemzug lang mehr warten zu können. Sie stürmte zurück zu den Trägern, die sie verstohlen beobachtet hatten. Nur Nandi war damit beschäftigt, sich den Inhalt ihrer Reisetruhe anzuschauen.
    »Nandi!«
    Er zuckte zusammen und drehte sich schuldbewusst um.
    »Was machst du da, Nandi?« Rosa erkannte mit einem Mal, was hier los war. Man hatte sie in eine Falle gelockt, würde sie nun ausrauben und dann im Regenwald zurücklassen. Das hier waren nicht die Überreste der Faktorei, hierher lotste man Trottel wie sie. Dabei hatte sie den zarten dunklen Mann auf den ersten Blick gemocht. Hatte sie denn auf der ganzen Reise nichts gelernt?
    Die anderen Träger standen wie angewurzelt und rührten sich nicht.
    Rosa rannte zu Nandi hin, er schlug den Deckel der Truhe zu, drehte sich zu ihr um und kam ihr eilig entgegen.
    »Nandi nur schauen, nicht stehlen.«
    Rosa wollte ihn gerade scharf zur Rede stellen, als ihr Blick von einer Bewegung am Boden abgelenkt wurde.
    Eine armdicke braune Schlange wand sich über den schmalen Pfad, und Nandi rannte geradewegs auf sie zu. Rosa blieb wie angewurzelt stehen, sie hatte noch nie so eine große Schlange gesehen.
    »Memsahib!« Nandi kam schnell näher, gleich würde er auf das Tier treten.
    Rosa löste sich aus ihrer Erstarrung, machte einen Schritt vorwärts und stieß Nandi mit voller Kraft zur Seite.
    Wütend bäumte sich die Schlange auf, die Träger und Nandi schrien laut durcheinander.
    Rosa hörte ein scharfes Zischen, dann durchfuhr ein stechender Schmerz ihren rechten Knöchel. Hitze flammte von der Stelle empor, ihr wurde schwindelig. Aus den Augenwinkeln sah sie noch, wie sich die braune Schlange hastig davonschlängelte.
    Rosa taumelte. Nandi stützte sie, rief nach den Trägern, die ihm dabei halfen, Rosa zum Palankin zurückzubringen.
    Rosa sah bunte Sterne vor ihren Augen, und ihr wurde schlecht, aber gleichzeitig blieb ihr Kopf merkwürdig klar. Sie nahm ganz genau auf, was um sie herum passierte. Nandi gab hektische Befehle, man hievte sie auf den Palankin, dessen Stoffbahnen offen blieben. Nandi riss einen Palmwedel von einer Palme und fächelte Rosa, neben ihr her laufend, damit Luft zu, während die Träger sich rennend fortbewegten.
    Vor ihren Augen sah Rosa miteinander kämpfende Schlangen und dann zwei Kobras, die sich voller Verlangen anschauten. Die Kobras hatten Gesichter. Eine sah aus wie Luis, die andere wie sie selbst. Sie wusste, dass sie stöhnte, konnte aber nichts dagegen tun. Ihr war heiß, viel heißer als noch vorhin. Sie wünschte sich, dass der Regen wiederkäme und sie kühlen möge. Sie versuchte, ihre Augen zu öffnen, in den Himmel zu schauen, aber sie konnte sie nicht aufschlagen. Trotzdem kam es ihr so vor, als würde sie klarer sehen denn je: Über ihr war ein mottengrauer Himmel, durchbrochen vom saftigen Grün der Kokospalmen und Mangobäume, und hoch oben an diesem Himmel schwebten Adler, sie kreisten über ihr wie damals am Brenner über Giacomo. Ein gutes Omen, ein sehr gutes Omen. Und einer der Adler hatte eine Schlange im Schnabel. Dann stieg ein stummes Lachen in Rosa auf, mit dem sie in ein befreiendes Licht eintauchte, helles Licht, das sie jede noch so winzige Stelle ihrer Haut bewusst empfinden ließ, das den Schmerz, der mittlerweile von ihrem Knöchel hoch bis zu ihrem Oberschenkel ausstrahlte, intensivierte und ihm gleichzeitig

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