Die Hexengabe: Roman (German Edition)
dieses Mal war Rosa viel zu aufgeregt, um einzuschlafen. Sie blieb hellwach und versuchte, sich vorzustellen, wie sie ihre Schwester heute wiedersehen würde, aber die Angst war stärker als ihre Vorstellungskraft.
45. Kapitel
I ch hatte immer noch keine Ahnung, wie ich die in drei Tagen geplante Entmannung von Kulthum Kaspari noch verhindern konnte, doch mein Plan für Dorotheas Rettung schien aufzugehen.
Amatulkarim glaubte nämlich, sie selbst sei auf die Idee gekommen, die alte Heilerin mit der seltsamen Nagini in den Harem einzuladen. Dank unserem Habibi war es gelungen, ihr die Überzeugung einzuflößen, dass es ein großes Vergnügen sein müsste, die beiden im Harem zu empfangen.
Mir stand der Sinn nicht nach großen Feiern, ich hoffte nur, wenigstens eine der beiden würde Dorothea wieder gesund machen können. Man erzählte sich Wunderdinge über sie. Ich hatte die Mahaldar von Amatulkarim bestochen, damit sie die beiden später hierher führte.
Ich hörte die Tamburine, die Trommeln und die Sitar: Unsere Gäste waren angekommen und wurden feierlich empfangen.
Ich musste mich bewegen, um meiner Unruhe Herr zu werden. Was, wenn sie Dorothea nicht helfen konnten?
Der Duft von gegrilltem Lammfleisch und gebratenem Reis zog aus dem Garten von Amatulkarim in den meinen. Die Mischung von Musik und Stimmen, Gelächter und Kichern war so gewaltig, dass sogar Dorothea aus ihrem Dämmerschlaf erwachte.
»Was ist los?«, fragte sie so leise, dass ich mich neben ihr Gesicht knien musste. Sie war glühend heiß. Ich tupfte ihre Stirn mit kaltem Wasser ab.
Kaspar rannte herein, warf eine der Bodenkerzen um und ließ sich neben seine Mutter plumpsen. »Mama, Mama, die Heilerinnen sind gekommen, und Amatulkarim ist sehr böse, weil sie keine Geschenke mitgebracht haben.«
Ich stellte die Kerze wieder auf. Sie hätten wenigstens irgendetwas mitbringen müssen, einen geweihten Stein, eine Blüte. Wie konnte man so dumm sein!
»Habibi, sag Amatulkarim, Beshir habe dir erzählt, eine Nagini würde nie Geschenke mitbringen, sondern nur welche empfangen. Lauf schnell, und sorge dafür, dass sie den Heilerinnen ihren Unmut nicht zeigt. Denke daran, sie können vielleicht deine Mutter gesund machen. Also beeile dich!«
Kaspar blieb einen Moment unschlüssig stehen, dann zupfte er an seinem orangen Festgewand, das ihm Amatulkarim zu diesem Fest geschenkt hatte und das reichlich stramm über seinen Fettpolstern saß.
»Und wenn … was ist, wenn …«
»Wenn was?«
»Mama doch stirbt?«
»Was?« Dorothea hatte ihre Augen wieder geschlossen.
Ich hockte mich neben sie.
»Du wirst sehen, sie werden dich gesund machen.« Ich warf Kaspar einen finsteren Blick zu, der ihn zum Schweigen bringen sollte, und fächelte seiner Mutter mit einem großen Fächer aus Pfauenfedern Luft zu. Meine Sklavinnen hatte ich alle weggeschickt, damit auch sie dem Fest beiwohnen konnten. Außerdem sollten die Heilerinnen sich später unbemerkt um Dorothea kümmern können.
»Wird Amatulkarim dann meine Mutter?«, fragte er unbeeindruckt von meinem bösen Blick.
Dieser Dummkopf ahnte überhaupt nicht, dass ihn die erste Frau von Khan Bahadur Ammar Karim nur zu ihrer Unterhaltung haben wollte, ja sogar bereit war, ihn kastrieren zu lassen, nur um noch länger Spaß an ihm zu haben. Keine Mutter würde das tun. Keine.
»Nein, Habibi, das wird sie ganz sicher nicht!« Und wenn es das Letzte wäre, wofür ich sorgen würde. »Und nun geh und sage ihr, was ich dir aufgetragen habe.«
»Auf keinen Fall will ich jedenfalls dich als Mutter!« Er stampfte mit seinem Fuß auf, was seine Fußglöckchen leise bimmeln ließ, und verschwand, wie immer rennend, aus meinem Palast.
»Er hat recht«, flüsterte Dorothea, »du bist sehr streng mit ihm.« Sie lächelte mit geschlossenen Augen. »Aber das ist gut so, ich bin froh darüber. Er sollte nach Hause, nach Nürnberg. Weißt du, dort essen wir an Weihnachten immer …«
Jemand räusperte sich in meinem Rücken. In dem Augenblick, in dem ich das Räuspern hörte, wusste ich, dass es nicht die Mahaldar mit den Heilerinnen war, sondern Beshir.
Ich drehte mich um. Er war prächtig herausgeputzt. Über seinem roten Pajama trug er einen mit Perlen besetzten Gürtel, aus dem ein silbernes Schwert mit einem elfenbeinernen, juwelengeschmückten Griff herausragte. Auf seinem weißen Turban befand sich eine Blütenbrosche aus grüner Jade, die mit Rubinen verziert war.
Beshir Aga grinste sehr breit.
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