Die Hexengabe: Roman (German Edition)
ich meine Anstrengungen.
46. Kapitel
E s war unmöglich. Vollkommen unmöglich. Rosa wurde ständig mutloser. Was hatte sie sich nur vorgestellt? Hunderte von zart verschleierten Frauen umschwirrten sie, außerdem unverschleierte Musikerinnen, Tänzerinnen, Dienerinnen und Äffchen.
Sie und ihre Begleitung waren am Tor von einer alten Frau ehrerbietig begrüßt worden und wurden nun von einer Reihe hochgewachsener, schwarzhäutiger Männer mit weißen Turbanen, die in gelbe Uniformen gewandet waren, zu einer Art Pavillon eskortiert. Er befand sich auf einem kleinen Hügel in einem Garten, der so hell mit Fackeln erleuchtet war, dass Rosa die zahllosen weiß blühenden Blumen beinahe so gut sehen konnte, als ob heller Tag wäre.
Der Weg dorthin war dick mit roten Rosenblättern bestreut worden, die einen intensiven Duft verströmten und Rosa das Gefühl gaben, auf einem Samtteppich zu wandeln.
Auf dem Hügel warteten vier Frauen auf sie, die mit noch mehr Schmuck behangen waren als all die anderen Frauen.
Usha und Nandi warfen sich vor den Frauen auf die Erde, was Rosa verblüffte, aber dann tat sie es ihnen nach und schielte, auf dem Boden liegend, zu Nandi hinüber, um nur ja nichts falsch zu machen.
Die Älteste der Frauen trat zu ihnen. Sie trug einen silberblau schimmernden Sari, und ihr Schleier war nur über die schwarzen Haare gelegt, sodass Rosa ihr Gesicht sehen konnte. Trotz der Zahnlücken und Fettpolster unter dem Kinn konnte Rosa sich vorstellen, wie schön diese Frau einmal gewesen sein musste. Die Frau breitete ihre dicken Arme aus, und es ergoss sich ein Wortschwall über sie. Hin und wieder unterbrach sie ihre Rede, um auf die anderen drei Frauen zu zeigen, die dann im Chor etwas wiederholten. Rosa schien das eine Ewigkeit zu dauern.
Wo war Dorothea, wie würde sie die bei den vielen Frauen jemals finden?
Und wo war Kaspar? Sie konnte kein einziges Kind entdecken. Sie versuchte immer wieder, einen Blick auf das Geschehen am Fuß des Hügels zu erhaschen, aber Nandi zischte ihr jedes Mal böse zu, wenn sie den Kopf anhob.
Endlich war die Frau mit ihrer Rede fertig und klatschte in die Hände. Sklavinnen stürzten heran und reichten ihnen feuchtheiße Tücher.
Nandi tupfte sich Hände und Gesicht damit ab, danach erhob er sich mit tief gebeugt bleibendem Kopf. Rosa beeilte sich, das Gleiche zu tun, dann folgten sie alle drei der Frau zu dicken Kissen, die etwas entfernt am Boden lagen, und setzten sich dort mit gekreuzten Beinen. Weitere Sklavinnen reichten ihnen goldene Becher mit Chai. Rosa trank hastig, denn ihre Kehle war trocken.
Erst als sie den Becher wieder absetzte, merkte sie, dass alle sie anstarrten.
»Niemals berühren Becher mit Lippen!«, zischte Nandi, der sich neben sie gesetzt hatte.
Beschämt blickte sie auf den Boden; das hatte ihr Nandi schon öfter gesagt, und immer wieder vergaß sie es. Man berührte das Trinkgefäß nicht mit den Lippen, sondern goss die Flüssigkeit durch die Luft in den Mund, und man benutzte nie die linke Hand beim Essen. Sie war zu sehr damit beschäftigt gewesen, zu überlegen, wie sie Dorothea finden konnte. Sie musste sich besser zusammennehmen.
»Das ist Amatulkarim, die erste Frau von Khan Bahadur Ammar Karim«, flüsterte Nandi so leise, dass Rosa es in der musikgeschwängerten Luft kaum verstehen konnte.
»Was hat sie denn so lange erzählt?«
»Sie hat uns willkommen geheißen.« Nandi verstummte.
»Und das war alles?«
Nandi blieb stumm.
»Nandi!«
Amatulkarim stand auf und forderte sie alle drei mit großen Gesten auf, mit ihr zu kommen. Die Eskorte mit den schwarzen Männern begleitete sie und verhinderte so, dass sich weitere Frauen anschlossen.
»Nandi!«
Warum antwortete er nicht? Sollten sie eingesperrt werden? Würde man ihnen etwas antun? Was war denn los?
Nandi und Usha waren aufgestanden und folgten Amatulkarim, also schloss sich Rosa ihnen an. Aber wohin wurden sie nun geführt?
Rosa hatte erwartet, dass sie ein reichliches Mahl einnehmen würden und dann Frauen kämen, die von ihr gesegnet werden wollten. Ja, sie hatte gehofft, Dorothea würde unter ihnen sein. Warum aber wurden sie von dem eigentlichen Fest weggebracht?
»Nandi!« Rosa drängte sich dicht an ihren Übersetzer, der taub geworden zu sein schien. Am liebsten hätte sie geschrien und ihn geschüttelt, aber sie wollte nichts tun, was ihren Plan gefährden konnte.
Als sie sich dann in einem dunklen Korridor wiederfand, an dessen weit entferntem
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