Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
Vom Netzwerk:
Los bestimmt, muss man es halten, sag ich, wie beim Würfelspiel: Wenn die von uns gewünschte Zahl nicht fallen will, versuche man mit Umsicht und Gelassenheit, wie man den Zufall meistert durch geschicktes Spiel .
    Das war zwar keine Antwort auf ihre Frage, aber sie hatte es geliebt, wenn ihr Vater ins Zitieren kam. Dann richtete er, der den ganzen Tag gebückt über seinen Tischen arbeitete, sich auf und deklamierte in einem so dramatischen Tonfall, dass es Rosa Gänseschauer über den Rücken jagte. Außerdem hatte er meistens noch etwas über das Leben des jeweiligen Schriftstellers erzählt. Und obwohl der Vater die Franzosen wegen der starken Konkurrenz nicht mochte, bewunderte er Molière wegen seines scharfzüngigen Humors.
    Rosa erinnerte sich daran, wie er einmal der Mutter vorgeschlagen hatte, jeden Tag gleich nach dem Tischgebet etwas aus dem »Tartuffe« vorzulesen, was ihre Mutter empört zurückwies, da könnten sie auch gleich das Gebet ganz weglassen, wenn es dann mit gottlosen Komödien weiterginge. Und ihr Vater fügte sich ihrer Mutter wie so oft, doch in seiner Werkstatt hatte er Rosa hin und wieder etwas vorgelesen und sie gefragt, wie sie darüber dachte.
    Nachdenklich schritt Rosa zu dem Regal mit der Weltkarte hinüber. Sie würde einige Bücher mitnehmen, dann wäre es ein bisschen so, als würde der Vater mit ihr sprechen.
    Doch da standen so viele Bücher …von Molière, Baltasar Gracián, Grimmelshausen, Shakespeare und von Marcus Valerius Martialis, von Platon und Horaz, Hoffmannswaldau …
    Sie würde sich einige aussuchen, und den Rest konnte ihre Mutter zu Geld machen. Das war zwar eine gute Idee, aber Rosa seufzte trotzdem, denn es hätte ihrem Vater nicht gefallen. Andererseits interessierte sich ihre Mutter nicht für diese Art von Büchern. Einzig das Kräuterbuch des Frankfurter Stadtarztes Adam Lonitzer und ein Buch der heiligen Hildegard von Bingen hatte sie ihre Mutter einmal lesen sehen – und natürlich die Bibel.
    Rosa griff nach einem Band Molière, dann noch einen und noch einen und legte sie auf den Tisch. Oder doch lieber etwas von Platon? Sie zog »Das Gastmahl« heraus. Wie sollte sie angesichts der vielen Bücher wissen, welches die richtigen für ihre Reise waren?
    Dann werde ich eben das Schicksal entscheiden lassen, dachte sie, und mit der verdammten linken Hand, ohne hinzuschauen, ein Buch herausnehmen. Sie schloss die Augen und griff zu.
    »Bist du fertig?«, fragte ihre Mutter, die unbemerkt hereingekommen war. Rosa zuckte mit dem Buch in der Hand zusammen und trat unwillkürlich einen Schritt zur Seite, als wäre sie bei etwas Unrechtem ertappt worden. Dabei kam sie mit der Hand an die schon dort abgelegten Bücher, und alle fielen polternd zu Boden. Das kommt also dabei heraus, wenn ich meine Hexenhand befrage, dachte sie und kniete sich hin, um die Bücher aufzuheben.
    »Porca miseria!« Hinter der Mutter drängte sich Giacomo vorbei, der neben Rosa in die Knie ging und sich daranmachte, ihr beim Aufheben der Bücher zu helfen. Er kam ihr so nah, dass Rosa glaubte, ein würziges Parfüm zu riechen, das sie schwach an Lebkuchen erinnerte.
    Die Mutter schüttelte den Kopf. »Signore di Lontano, das ist keine Arbeit für einen Mann.«
    Giacomo widersprach und half Rosa weiter beim Aufklauben der Bücher.
    »Rosa, was hattest du überhaupt mit den Büchern zu schaffen, sind denn die Fässer schon fertig gepackt?«, mahnte ihre Mutter.
    »Ecco«, flüsterte Giacomo, der immer noch neben Rosa auf dem Boden kniete, und reichte ihr eines der Bücher. »Du heißt doch Rosa?«
    Sie nickte überrascht. Bisher hatte er sie immer gesiezt. »Dann liegt in diesem Buch hier ein Papier für dich«, wisperte er. Er klappte es zusammen und reichte es Rosa.
    Wollte er damit sagen, er hätte ihr einen Brief geschrieben?
    Aus welchem Grund sollte er?
    Ausgerechnet ihr?
    Und wieso bedurfte es eines Briefes? Was gab es denn, das er ihr nicht von Angesicht zu Angesicht sagen konnte?
    Es musste etwas sein, zu dem ihm der Mut fehlte.
    »Rosa, wie oft soll ich dich noch fragen?« Ihre Mutter unterbrach ihren Gedankenfluss abrupt.
    Rosa hielt das Buch von Giacomo umklammert, richtete sich auf. »Alles ist fertig, Mutter, Giacomo kann alles mitnehmen.«
    Am liebsten wäre sie davongerannt, um sofort den Brief zu lesen, aber das hätte merkwürdig ausgesehen, also blieb sie ruhig stehen.
    »Bene!« Giacomo nickte ihrer Mutter zu. »Dann bringe ich die Fässer jetzt zu meinem Schwager.

Weitere Kostenlose Bücher