Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
Vom Netzwerk:
Arm zu heben, doch der Schmerz brachte ihr Herz zum Rasen. Sie versuchte es mit dem rechten. Ja, der ließ sich bewegen, er gehorchte ihrem Befehl. Beim Anheben stachen tausend Messer durch ihre Brust, aber sie würde es schaffen, sie musste es schaffen. Mit der Hand erreichte sie ihr rechtes Auge. Ihre Wimpern fühlten sich an, als wären sie mit Harz beträufelt und zu Klumpen getrocknet. Sie begann daran zu reiben.
    Rascheln. Wieder das Picken.
    Sie rieb und rieb. Da endlich. Die Klumpen zerbröselten. Sie schaffte es zu blinzeln. Sah direkt auf die Taille eines Mannes, der quer auf ihr lag. Seine ursprünglich grauseidene Kniehose war dunkelbraun von getrocknetem Blut.
    Rosa drehte ihren Kopf unter Schmerzen zur Seite, hin zu dem Picken.
    Silbrig schimmernde Schwungfedern raschelten.
    Der Geierschnabel mit dem bartähnlichen Federbüschel an der Unterseite hackte zu.
    Giacomos Augenhöhlen waren beinahe leer.
    Ein Schwall Galle schoss hoch, verätzte Rosas Mund. Sie musste sich aufsetzen, aber sie konnte es nicht, verschluckte sich an der bitteren Flüssigkeit, versuchte, trotzdem zu atmen, röchelte, wedelte mit der rechten Hand zu dem Bartgeier hin, aber der drehte nur seinen federgeschmückten Kopf und starrte sie mit rotgeränderten Augen durchdringend an.
    »Geier sind durchaus nützlich«, hörte sie ihren Vater sagen, während sie die Vogelkarten kolorierten.
    Nützlich.
    Ein Keuchen brach sich durch ihren Körper.
    Sie war am Leben.
    Sie lebte. Giacomo war tot. Nützlich.
    Sie tastete nach einem Stein und warf ihn mit letzter Kraft zu dem Geier hin, was ihn lediglich zu einem gelassenen Flügelschlagen veranlasste.
    Sie musste Giacomo beerdigen, seinen ganzen Leichnam und nicht nur das, was die Geier von ihm übrig ließen.
    Rosa packte noch einen Stein, warf mit mehr Kraft, mit unendlicher Wut. Plötzlich war es das Wichtigste auf der Welt, diesen Geier zu verscheuchen, das Einzige, was noch zählte. Da fiel ihr Blick auf den Degen, der neben ihrem Körper lag, Giacomos Degen. Sie tastete danach, konnte ihn kaum umgreifen, feuerte sich selbst an: Los, Rosa, das schaffst du! Sie versuchte, den Schmerz zu ignorieren, hob den Arm und schlug nach dem Geier, wieder und wieder, bis er aufgab und endlich seine Schwingen ausbreitete und davonflog.
    Ihr Arm fiel erschöpft auf die steinige Erde. Ihr Körper zitterte, jedes Zittern stach in ihrem Oberkörper. Ihr Mund war völlig trocken und schmeckte bitter.
    Und jetzt, Rosa, was jetzt?
    Du darfst nicht einschlafen. Du musst etwas trinken. Du musst Giacomo beschützen, dazu musst du aufstehen. Sie begann mit der rechten Hand Giacomo von sich zu schieben. Zuerst bewegte sich gar nichts. Sie biss die Zähne zusammen, ließ all ihren Zorn in die rechte Hand fließen, da ein Stückchen, ein kleines Stückchen und noch eins und wieder eins.
    Endlich. Giacomo lag neben ihr.
    Jetzt konnte sie versuchen, aufzustehen.
    Sie drehte sich auf die rechte Seite. Rasender Schmerz in ihrem unteren Rücken. Egal, sie musste jetzt aufstehen. Ihre Augen tasteten den Grund ab, auf den sie sich gleich stellen würde. Da lag ein seltsam kleiner Stein, nein, kein Stein, das war einer der weißen, geschnitzten Knöpfe von Giacomos Jacke, ein kleiner Elefant. Sie nahm ihn und steckte ihn in ihr Mieder wie eine Kostbarkeit. Dann setzte sie den ersten Fuß auf. Ein glühendes Ziehen durchfuhr ihre Innenschenkel, ihr wurde schwarz vor Augen, sie musste sich schwer atmend wieder hinlegen.
    Nachdem sich ihre Atemzüge beruhigt hatten, versuchte sie es erneut. Aber jedes Mal, wenn sie die Füße aufsetzte, passierte das Gleiche. Schließlich griff sie nach Giacomos Degen, verwendete ihn als Stütze. Aber sie haben es nicht geschafft, dachte sie. Ich lebe. Und das bedeutet, dass sie sterben werden, wenn ich sie kriege. Und ich werde sie kriegen!
    Ihre linke Hand hing leblos herunter, als würde sie nicht zu ihrem Körper gehören. Sie humpelte ein Stück weiter in die Richtung zum Lager.
    Dort lagen der Kutscher, die Diener – alle tot. Auch einige tote Räuber. Ein Festschmaus für die Bartgeier. Es war unmöglich, sie alle zu verscheuchen. Keine Spur von Baldessarini oder den Söldnern. Ob sie es geschafft hatten zu fliehen? Und wenn ja, warum waren sie nicht zurückgekommen, um nach Verletzten oder Überlebenden zu suchen? Nein, sie mussten entführt worden sein, um Lösegeld zu erpressen.
    Die Wagen, die Pferde, das Gepäck. Alles war weg. Hatte denn niemand diesen Überfall überlebt

Weitere Kostenlose Bücher