Die Hexengraefin
Bevölkerung einen erschütternden Eindruck.
»Es kam zu Krawallen«, notierte der Pater, »aber dessen ungeachtet wurden dennoch die Magdalena Holdermann und Maria, die Tochter der Gotter Neß, und eine gewisse Ursula auf ihre Geständnisse hin, welche sie in den peinlichen Verhören abgelegt hatten, von Bertold Munzinger zum Tode verurteilt. Am anderen Tag allerdings erfolgte prompt der Widerruf der Frauen, und dabei blieben sie nun. Vor wenigen Wochen noch hätte der ›Stuhl‹ die zweifelhafte Ehre des Schandurteils gerettet, jetzt aber wagte man dessen erneute Anwendung nicht mehr, weil man einen Volksaufstand befürchtete. Im Gegenteil, man war froh, dass man in der Bereitschaft des Pfarrherrn, Ingo Hasenauer, er wolle in einer heiligen Messe GOTT um Beistand und Gerechtigkeit bitten, eine goldene Brücke gebaut sah: Möglicherweise hätte einer der Verantwortlichen eine göttliche Eingebung, welche ihm sagte, was jetzt mit den Weibern zu geschehen hätte.
Man ließ die Gefangenen noch eine Weile im Hänsele-Turm schmachten. Als sie aber auch noch vier Wochen später auf der Behauptung ihrer Unschuld beharrten, hat man sie entlassen«, schrieb Vater Ambrosius mit großer Genugtuung.
Ferfrieds Beichtvater Ambrosius Feyerling tat noch ein Übriges: Er nahm die mühevolle Arbeit auf sich, aus den zahlreichen Gerichtsprotokollen sämtliche Namen der als Hexen oder Hexenmeister in der Ortenau verurteilten Frauen und Männer für die Nachwelt festzuhalten, sowie die genauen Umstände ihrer Prozesse und ihrer Verurteilungen.
»Es wird ein ansehnlicher Band werden, den der Graf nach ein paar Jahren in seiner Schlossbibliothek in einem besonderen Schrank wird verwahren können«, prophezeite der Mönch in einem späteren Schreiben an Adelheid.
Im Großen und Ganzen war es also vorbei mit den verfluchten Hexenprozessen in der Ortenau. Ein paar Nachwehen zeigten sich dennoch.
Ein armer, junger, offenbar geisteskranker Mensch mit Namen Moritz Mendlin, wurde gefoltert, worauf er umgehend das Verbrechen der Zauberei eingestand und mit dem Schwert hingerichtet wurde. Einen Scheiterhaufen errichtete man nicht mehr.
Die Landvogteibeamten hätten zwar gerne noch einmal das Feuer geschürt, und sie bemühten sich, dementsprechende »Zeugenaussagen« zu sammeln, aber die Räte behaupteten, allzu sehr »von den Kriegsentbehrungen in Anspruch genommen« zu sein, als dass man Verfolgungen einleiten könnte.
»Eines hat sich jedenfalls klar gezeigt«, meinte Graf Ferfried zu seinem Sohn, »die allen menschlichen Gefühlen und aller menschlichen Vernunft hohnsprechenden und der allgemeinen Unbildung des Volkes geschuldeten Hexenprozesse lassen erkennen, dass der Satz ›Vox populi, vox Dei‹ (Volkesstimme ist GOTTES Stimme) glatter Unsinn ist.«
Da blieb dem Pater nur noch, ein aus tiefstem Herzen kommendes »Amen« zu sagen.
KAPITEL 94
KAUM WAR DIE GRÄFLICHE REISEGESELLSCHAFT in der kleinen holländischen Stadt Oudewater angekommen, begab sich der Comte mit seiner Frau und seinem ansehnlichen Gefolge ins Rathaus der Gemeinde, um sich dem dortigen Schultheißen und dessen Räten vorzustellen.
Der Schultheiß, ein dicker Holländer mittleren Alters, fühlte sich sehr geschmeichelt von der Anwesenheit der edlen Gäste aus dem Nachbarland Frankreich (nur derjenige Teil der Niederlande, welcher von den Spaniern besetzt war, war den Franzosen feindlich gesinnt) und fragte nach dem Begehr des Comte de Grandbois. Sein Französisch war nicht das Allerbeste, aber man konnte ihn zur Not verstehen.
Nicht nur Adelheid spitzte die Ohren, alle waren gespannt, was der Comte jetzt antworten würde.
Denn nun war es an Monsieur Bernard, das »Geheimnis« zu lüften. Im Mittelpunkt stand diesmal Helene Hagenbusch.
»Nach altem Aberglauben gelten Hexen als schwerelos, was ihnen auch den angeblichen Hexenflug auf einem Besenstiel durch die Luft ermöglicht. Das geringe Gewicht gilt als Beweis ihrer Schuld, und daher manipulieren sämtliche Stadtväter in ganz Europa die städtischen Waagen«, ließ sich Monsieur de Grandbois vernehmen, und das Helen wurde blutrot.
»Eine einzige Stadt nur«, fuhr der Graf fort, »das niederländische Oudewater nämlich, zeigt das wirkliche Gewicht der Frauen an, worauf man sie freisprechen muss vom Vorwurf, eine Hexe zu sein. Die Zertifikate, die der ehrenwerte Schultheiß dieser Stadt ausstellt, werden seltsamerweise überall in Europa anerkannt. Sie sind oft zum allerletzten Rettungsanker für
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