Die Hexenjagd von Salem Falls
dem Daumennagel über einen haardünnen Riß in der grünen Farbe seines Stuhls. »Fragst du dich manchmal, ob es da oben jemanden gibt, der Buch führt, Amos?« sagte er leise. »Du weißt schon … ob man am Ende das bekommt, was man verdient hat?«
Amos’ Miene verfinsterte sich. »Gillian hat nicht verdient, was ihr angetan wurde.«
»Nein«, murmelte Charlie. »Gillian nicht.«
Selena stellte folgende Überlegung an: Ein Mädchen, das seinen Vater belog, um sich still und leise aus dem Haus schleichen zu können, verheimlichte wahrscheinlich auch noch andere Dinge vor ihm. Und ein Mädchen, dessen Daddy der reichste Mann der Stadt war, hatte wahrscheinlich von ebendiesem Daddy zum sechzehnten Geburtstag eine Kreditkarte bekommen.
Sich Zugang zu fremden Computersystemen zu verschaffen war illegal, aber als Ermittlerin eines Anwalts wußte sie, wie sie das Gesetz für ihre Zwecke zurechtbiegen konnte. Die erste Voraussetzung war natürlich die, daß der verklemmte Anwalt, für den sie tätig war, den ganzen Abend außer Haus weilte, und es schadete auch nicht zu wissen, daß sein Sohn ebenfalls nicht zugegen war, weil er ein Rendezvous hatte. Die zweite Voraussetzung war die, alles wieder zu aktivieren, was sie im Laufe der Jahre an Wissen erworben hatte … so beispielsweise, daß das Paßwort des Durchschnittsmenschen bei weitem nicht so kompliziert war, wie es sein sollte. Selena vermutete, daß Gillians Geburtsdatum, leicht umgestellt, der Schlüssel zu ihrem Konto bei America Online war, und nach drei Versuchen hatte sie Erfolg. Ihre jüngsten Online-Käufe herauszufinden war da schon etwas kniffliger – Amazon.com und Reel.com erwiesen sich als Fehlschlag, doch dann fand Selena einen CD-Anbieter, bei dem Gilly ein Konto hatte. Nach weiteren zehn Minuten hatte sie die Verschlüsselung des Bestellsystems geknackt und bekam eine American-Express-Nummer.
Sie rief den Kundenservice an und gab sich als Gillian Duncan aus.
»Was kann ich für Sie tun, Gillian?« fragte die Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Also, ich habe da ein Problem mit meinen Kontobelegen.« Selena tat so, als würde sie einen Moment lang suchen. »Am fünfundzwanzigsten April, 25,60 Dollar im Gap?«
»Am fünfundzwanzigsten April?«
»Ja.«
Da Selena sich das alles bloß ausgedacht hatte, war es nicht verwunderlich, daß die Dame keinen Beleg finden konnte.
»Ich habe hier nur zwei Abbuchungen für den fünfundzwanzigsten April – eine über 47,75 Dollar bei Wiccan Read und eine über 10,70 Dollar bei CVS . Nichts vom Gap. Sind Sie sicher, daß Sie den richtigen Auszug haben?«
Selena kritzelte hektisch auf den Rand von Jordans Zeitung. »Ach, du liebe Güte, ich Schussel. Das sind ja die Belege von meiner MasterCard «, sagte sie kichernd. »Tschuldigung.«
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
»Nein, vielen Dank. Tut mir schrecklich leid«, erwiderte Selena und legte auf. CVS – nicht ungewöhnlich, dort zehn Dollar auszugeben. Einmal Nagellack, ein Snickers und eine Packung Kaugummi, mehr nicht. Oder vielleicht sogar eine Packung Kondome.
Wiccan Read stellte ein größeres Rätsel dar. »Wiccan«, sagte Selena laut und ging dann in Thomas’ Zimmer, um im großen Webster nachzuschlagen. Sie sah unter W nach, fand aber keinen Eintrag.
Aber sie hatte das Wort schon einmal gehört, darauf hätte Selena gewettet. Sie setzte sich wieder an den Computer und rief eine Suchmaschine auf.
Wiccan , tippte sie ein.
Gleich darauf erschienen die ersten fünf Treffer von insgesamt 153 995 auf dem Bildschirm.
Paganismus und Wicca. Das Grimoire und das kleine Buch der Feen und Elfen. Wie kontaktiere ich einen Coven in meiner Nähe? Wicca-Rituale: Segnungen, Gebete und Sprüche – die beste Wicca-Homepage für Teenager.
Und dann eine Website, die Selena ins Auge sprang: Warum haben wir Angst vor Hexen?
Jetzt fiel Selena wieder ein, wo sie das Wort gehört hatte. »Mannomann, Miss Gillian«, murmelte sie und klickte die Website an, die als Hintergrund einen Hexenkessel zeigte, in unergründliches, brodelndes Schwarz getaucht. »Wo bist du da bloß reingeraten?«
Thomas hatte eine Hand unter Chelsea Abrams Bluse geschoben, während er an britische Monarchen dachte. James I., Charles I., die Cromwells, Charles II., James II., William und Mary . Es war das Langweiligste, das er sich ins Gedächtnis rufen konnte, um sich von Chelseas weicher Haut und ihrem Rosenduft abzulenken und nicht vor Erregung zu platzen.
Sie konnte
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