Die Hexenjagd von Salem Falls
anderen Dinge lenkten ihn ab – Bänder, die hingen, wo sie nicht hingehörten; ein Messer, das im rechten Winkel zu einer Kerze lag; der Geruch von Zimt; die simple Tatsache, daß sie ihn rief. »Du kommst genau zur rechten Zeit«, sagte Gillian. »Wir haben auf dich gewartet.«
Bestimmt schlief er, und es war nur ein Traum. Ein böser Traum. Der Wagen, der ihm gefolgt war; sein Zusammenstoß mit Wes, und jetzt diese halbnackten Mädchen. Ja, nun ergab alles einen Sinn. Sein Kopf spielte ihm einen Streich. Er fühlte sich jetzt sicherer, das alles konnte schließlich nicht real sein .
Als Gillian Jacks Hand nahm, zuckte sein ganzer Körper zusammen. »Ach«, sagte sie besänftigend und fuhr ihm mit den Fingern durchs Haar. »Armer Jack.« Sie berührte die Kratzer an seiner Stirn und Wange, hob dann ihre Bluse von der Erde auf und tupfte das Blut ab .
Ihre wunderschönen Brüste waren dicht vor seinem Mund, und sie wirkten völlig real. In einem versteckten Winkel seines Kopfes suchte Jack verzweifelt nach einem klaren Gedanken. »Ich kann nicht … ich muß …«
»Hierbleiben«, vollendete Gillian den Satz. Sie lächelte ihre Freundinnen an. »Was haben wir heute nacht noch nicht gemacht?«
Der Mund des kleinen, pummeligen Mädchens rundete sich. »Das kannst du nicht machen, Gilly.«
Plötzlich sah Jack die Szene wie aus großer Höhe. Die Hand des Mädchens in seiner Hand, die Bänder, die hinter ihnen flatterten. Du darfst nicht hier sein, ermahnte er sich, weil … aber er konnte den Satz nicht beenden. Mit aller Willenskraft versuchte er, die Füße zu bewegen, aber er war zu betrunken. Weg hier, dachte er, und erst, als Gillian zu ihm sagte: »Magst du uns denn nicht?« merkte er, daß er laut gesprochen hatte .
»Ich muß gehen«, sagte er mit erstickter Stimme .
»Aber vorher hilfst du mir noch, ja? Ich brauche dafür einen Mann.«
Jack sagte sich, Ich helfe ihr, irgendwas vom Baum zu holen, wo sie nicht dran kommt, oder ein Einmachglas zu öffnen, und dann bin ich weg. Doch zu seiner Überraschung verschränkte Gillian ihre Finger mit seinen und zog ihn zum Feuer. Dann lief sie los, so daß ihm nichts anderes übrigblieb, als ihr zu folgen – und über das Feuer zu springen .
Sie fielen zu Boden. Gillians Gesicht war gerötet. »Jetzt bist du an mich gebunden. Für ein Jahr.«
Jack verstand nicht, aber er verstand ohnehin nichts von dem, was hier vorging. Der Wald drehte sich um ihn herum. Er sah, wie die Mädchen aus einer Thermosflasche etwas in Becher eingossen, Kekse herumreichten. »Für dich«, sagte Gillian, und vielleicht hätte er sogar getrunken, wenn eines der anderen Mädchen nicht das Gleichgewicht verloren hätte und auf ihn gefallen wäre .
»Sachte.« Er sah sie an – Meg, so hieß sie, und sie war die Tochter eines Detective im Ort –, doch in dem Augenblick hätte sie genausogut Catherine Marsh sein können. Denn genauso rein war das Verlangen in ihren Augen. Jack klopfte das Herz wie wild, und er wandte sich dem anderen Mädchen zu, dem größeren, und Gillian – und sie alle hatten den gleichen Blick. Sie alle hatten den Ausdruck im Gesicht. Dieses Begehren, dieses ungeheuer einseitige Begehren, das sein Leben schon einmal fast zerstört hatte .
Jack rappelte sich auf und stürzte durch den Wald davon, fand den Pfad, den er gekommen war. Gut eine Minute torkelte er weiter, als Gillian plötzlich hinter ihm hergelaufen kam. Sie war den Tränen nahe, die Haare wild um den Kopf. »Das Feuer – wir kriegen es nicht aus. Der ganze Wald fängt an zu brennen. Bitte«, flehte sie. »Du mußt uns helfen.«
Er folgte ihr zu der Lichtung, wo gar kein Feuer war … und niemand sonst. Ehe er fragen konnte, was los sei, warf sie ihm die Arme um den Hals und preßte ihren Mund auf seinen. Er kriegte keine Luft mehr und wich zurück bis an die Glut des Feuers. Gillian drängte sich noch enger an ihn, als wolle sie ihm unter die Haut gleiten. Und dann nahm sie seine Hand und legte sie sich auf die Brust, sah ihm dabei unverwandt in die Augen, und er begriff, daß sie sich ihm darbot .
»Nein«, flüsterte Jack. »Nein.« Er legte die Hände auf Gillians Unterarme, schob sie weg, während Leuchtkäfer um sie herum glühten. »Ich habe gesagt, nein«, sagte er mit fester Stimme. Nein. Die Fichtennadeln erzitterten, die Sterne rutschten von ihrem Platz am Himmel, die Zeit lief zurück. Das war nicht Gillian Duncan; das war Catherine Marsh. Und Jack hatte jetzt die Chance, sich zu
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