Die Hexenjagd von Salem Falls
wahrscheinlich würde er Charlie Saxton eine Erklärung liefern müssen, sobald der Detective überprüfte, wer Einsicht in die Kriminalakten genommen hatte – aber er sagte sich, daß er es für Addies Sicherheit tat. Es hatte nichts damit zu tun, daß er sie für sich selbst gewinnen wollte.
In einer Kleinstadt wie Salem Falls hatte Wes zwischen eingehenden Notrufen reichlich Zeit. Er schickte einen Krankenwagen zum Altersheim und tippte dann St. Brides Namen in das Datenprogramm ein, das sämtliche gespeicherte Akten aus dem ganzen Land aufrufen konnte.
Wes schaute auf den Bildschirm und seine Augen weiteten sich. »Ach, Addie«, murmelte er.
»Dreh dich um«, befahl Amos Duncan.
Gillian vollführte eine langsame Drehung um die eigene Achse, wobei der schwarze Rock um die Oberschenkel wippte und die Haarclips aus Rheinkiesel blitzten.
»Das steht dir schon besser. Aber der Rock ist zu kurz.«
Sie verdrehte die Augen. »Daddy, das sagst du auch, wenn ich knöchellang trage.«
»Ich will eben nicht, daß einer von den Footballspielern auf dumme Gedanken kommt.«
»Keine Gefahr«, sagte Gilly leise und dachte, daß eine Salem-Falls-Sportskanone wirklich der allerletzte wäre, von dem sie sich anfassen lassen würde. »Außerdem paßt Megs Dad auf uns auf.«
»Gut so. Es ist irgendwie beruhigend zu wissen, daß die beste Freundin der eigenen Tochter Verwandte bei der Polizei hat.«
In der Küche fing der Teekessel an zu pfeifen. »Ich geh schon«, sagte Gillian.
»Ich kann mir selbst eine Tasse Tee aufbrühen.«
»Aber ich möchte es machen.« Sie warf ihm über die Schulter ein Lächeln zu. »Das ist das mindeste, was ich tun kann, wo ich dich schon allein zu Hause lasse.«
Amos lachte. »Ich find schon was, um mir die Zeit zu vertreiben. Ich könnte zum Beispiel die Kacheln in der Dusche zählen.«
»Aber das hast du doch schon beim letzten Mal gemacht, als ich abends ausgegangen bin«, witzelte Gilly. Sie ging in die Küche, nahm eine Tasse aus einem Hängeschrank und tat ein Sieb mit Darjeelingblättern hinein, dem Lieblingstee ihres Vaters. Dann griff sie in ihre Bluse, holte ein paar von den Pillen heraus, die sie in der Fabrik hatte mitgehen lassen, und gab sie mit ins Sieb.
Als sie zehn Minuten später in das Sieb schaute, hatten sie sich vollständig aufgelöst. Sie brachte den Tee in die Bibliothek, wo ihr Vater wartete.
»Das willst du anziehen?« fragte Jordan und blickte von seiner Zeitung auf.
Thomas trank einen Schluck Milch aus der Packung, die er aus dem Kühlschrank genommen hatte, und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Was ist denn daran auszusetzen?«
»Na ja, wohl nichts, wenn man bedenkt, daß du dich ja auch wie der letzte Penner benimmst .« Jordan blickte mißmutig auf die umgedrehte Baseballkappe und das verblichene Sporttrikot, auf die Hose, die seinem Sohn so tief auf den Hüften hing, daß sie offenbar Gefahr lief, ganz hinunterzurutschen. »Als ich in deinem Alter war, haben wir uns schick gemacht, wenn wir auf einen Ball gingen.«
»Klar, und dann seid ihr mit der offenen Kutsche zum kleinen roten Schulgebäude gefahren.«
»Sehr witzig. Ich rede von einem ordentlichen Hemd. Vielleicht auch eine Krawatte.«
»Eine Krawatte? Gott, wenn ich da mit einer Krawatte aufkreuze, knüpfen sie mich gleich daran auf. Die halten mich doch für einen von diesen Jesus-Freaks, die in der Cafeteria Flugblätter verteilen.«
»So was machen die?« fragte Jordan. »Während der Schulzeit?«
»Paß auf, Dad, der Anwalt in dir kommt durch.«
Jordan faltete die Zeitung zusammen und stand auf. »Wer fährt heute abend?«
»Keine Sorge. Ich werde mitgenommen.«
»Ach ja?« Jordan lächelte. »Ist Chelsea Abrams deinem ungeheuren McAfee-Charme erlegen und nimmt dich in ihrem Auto mit?«
»Nein, ich fahre mit jemand anderem.« Sobald ihm die Worte herausgerutscht waren, wünschte Thomas sie zurück. Das Funkeln in den Augen seines Vaters war zu stark.
»Einzelheiten?« Als Thomas die Achseln zuckte, hob Jordan eine Augenbraue. »Rück am besten gleich mit der Sprache raus. Es ist mein Job, Leuten Informationen zu entlocken.«
Die Türklingel war Thomas’ Rettung. »Mach’s gut, Dad. Bleib meinetwegen nicht auf.«
»Moment mal.« Jordan lief ihm nach. »Ich will ihr Gesicht sehen. Wozu hab ich einen Sohn im Teenageralter, wenn ich nicht wenigstens durch ihn was vom Leben mitkriege?« Er grinste, als er sah, wie peinlich es Thomas war. »Sag schon. Sieht sie toll
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