Die Hexenjagd
geglitten.
Cassie richtete ihre magischen Finger auf die Seiten des Buches und rief: »Ad me veniat!«
Zu Scarletts Überraschung und noch mehr zu Cassies eigener, erzitterte das Buch und erhob sich vom Boden. Dann schwebte es wie ein Blatt im Wind durch den Raum und direkt in Cassies ausgestreckte Hände. Sie ergriff den weichen Ledereinband des Buches und drückte es fest an ihre Brust.
Scarlett reckte verzweifelt ihre zitternden Finger in Cassies Richtung. »Praestrangulo«, schrie sie. »Caecitas!« Hektisch probierte sie jeden Zauber aus, den sie kannte. Aber jetzt hatte Cassie die Oberhand.
»Divorsus«, erwiderte Cassie gelassen und blockierte mit einer einfachen Bewegung ihres Arms jeden von Scarletts schwächlichen Zaubern.
Mit dem Buch ihres Vaters in der Hand begriff Cassie allmählich, woher diese neue Macht kam, warum sie mit einem Mal die schwarze Magie beherrschte. Während sie sich in den vergangenen Wochen mit dem Buch beschäftigt hatte, war sie in ihre Adern gesickert. Black Johns Magie war jetzt ihre. Sie spürte, wie die Macht des Buches sie durchströmte. Und es fühlte sich richtig an. Scarlett musste weg.
»Und ich dachte, du würdest kämpfen«, stachelte Cassie ihre Halbschwester an. »Ich dachte, du wärest eine würdige Gegnerin. Aber da habe ich mich wohl geirrt.«
Scarlett hatte keine Kraft mehr. Kaum in der Lage, sich wieder aufzurappeln, erschöpft von den vielen Zauberversuchen, schaute sie kurz zu dem flachen Wandschrank mit den Schiebetüren.
So flüchtig der Blick auch war, er entging Cassie nicht. »Hmm«, murmelte sie und drehte sich zu dem Schrank um. »Ich frage mich, was wohl dort drin ist. Ob es wohl die Meisterwerkzeuge sind? Meine Werkzeuge, die du mir gestohlen hast?«
Scarletts Augen weiteten sich und sie stürzte auf den Schrank zu.
»Desiccare!«, rief Cassie.
Und Scarlett ging erneut zu Boden. Ihre Arme und Beine wurden leichenstarr.
»Deine Reaktion war mirAntwort genug.« Cassie schlenderte lässig auf Scarlett zu, während sie beobachtete, wie sich ihre Halbschwester im Bann des Zaubers wand; ihr Rückgrat verbog bis zum Hals.
»Cassie!«, schrie Adam verzweifelt. »Mach mich los, sofort!«
Aber Cassie reagierte nicht. Stattdessen beobachtete sie, wie auch Scarletts Gesicht dem Zauber erlag. Es vertrocknete und verschrumpelte wie Dörrobst, dann wurde es grau, äschern und reglos wie eine Maske. Nur die Augen huschten noch hektisch hin und her.
»Ich habe es dir zwar schon gesagt«, wandte sich Cassie erneut an Scarlett. »Aber ich sage es gern noch einmal. Die Meisterwerkzeuge gehören mir. Und von jetzt an werden sie nur noch meinen Befehlen folgen. Und dieser Junge da?« Sie deutete auf Adam. »Gehört ebenfalls mir.«
Scarletts dunkle Augen versteinerten zu einem Grau, das zum Rest ihres ausgetrockneten Körpers passte.
Cassie grinste. »Was glaubst du, wer jetzt wohl Daddys Liebling ist? Ein heißer Tipp: Du nicht.«
»Cassie«, rief Adam verzweifelt. Aber sein Ruf drang wie aus weiter Ferne an ihr Ohr, als befände er sich am anderen Ende eines langen Tunnels. Cassie war zwar bewusst, dass er sich mit ihr in einem Raum befand, aber das spielte in diesem Moment keine Rolle. In diesem Moment wirkte er so klein und unwichtig, als wäre er gar nicht da.
»Du bist ein Nichts«, sagte Cassie zu Scarlett. »Ein Nichts.«
Cassie fühlte sich unbesiegbar. Sie wusste, dass sie Scarlett jetzt mühelos vernichten konnte. Und plötzlich fielen ihr auch die richtigen Worte dafür ein. Sie tauchten einfach aus ihrem tiefsten Inneren auf. Sie konnte sie auf der Zunge schmecken, bitter wie Lakritz:
Te mortis damno.
Ich verurteile dich zum Tode.
Kapitel Achtzehn
»Cassie!«, brüllte Adam. »Deine Augen. Du musst aufhören!«
Cassie hörte Adams Rufe, ohne zu verstehen, was sie bedeuteten. Alles, was sie vor sich sah, war das Bild von Scarlett. Tot.
»Du wirst sie umbringen!«, schrie Adam, kurz bevor Cassie die Worte aussprechen konnte, die ihre Schwester tatsächlich töten würden.
Cassie blickte verwirrt um sich, als hätte Adam sie aus einem Albtraum wach gerüttelt.
»Es ist Black John. Es ist die Dunkelheit, die dich kontrolliert«, rief Adam. »Das bist nicht du selbst, Cassie.«
Als sie den Raum um sich herum betrachtete, war es ihr, als hätte sie ihn noch nie zuvor gesehen. Dann fiel ihr Blick auf Scarlett, die erstarrt zu ihren Füßen lag.
Und da brach etwas in ihr zusammen. Die Knie wurden ihr weich und sie fühlte sich völlig
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