Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
bezeichneten. „Engelshaar, ein Wunder“, lispelte oft die bigotte Magda und versicherte mir, solches Haar gebe es bei einem jungen Menschen wie mir kein zweites Mal. Ich konnte es nicht beurteilen, da mir hier noch nie ein Mensch meines Alters begegnet war, und weiter zurück reichte mein Gedächtnis nicht, es war in schwarze Nacht getaucht.
Nun endlich eine Schilderung meiner Verunstaltung. Palmatia hatte zwar mit Tinkturen und Salben meine kleineren, über das gesamte Gesicht verteilten Narben etwas eindämmen können, doch die obere linke Gesichtshälfte trotzte nach wie vor jeder Behandlung. Die Schläfe war seitlich leicht eingedellt, Augenbraue und Wimpern fehlten gänzlich, und dicke Narben überwucherten an dieser Stelle die Haut. Am schauerlichsten war die diagonal über das obere Augenlid verlaufende Narbe, da sie das Lid schräg nach oben zur Schläfe zerrte. Mein Spiegelbild bot mir einen erschreckenden Anblick, mir war stets, als starre mich aus weißer Reptilienhaut ein blaugrünes Schlangenauge an. Ich musste mich damit abfinden, ebenso wie viele Pockennarbige, zeitlebens zum Tragen eines Gesichtsschleiers verurteilt zu sein.
S o Ungewöhnliches mein Verstand einerseits leistete, so unzuverlässig gebärdete er sich andererseits. Auf emotionale oder mentale Überforderung reagierte mein Intellekt oft minutenlang mit schmerzhaftem Prickeln unter der Schädeldecke. Oder er verhüllte sich in grauem Nebel und zog sich dann zurück, entschwand in ein Nichts, worauf sich mein dann nur noch aus Gemüt bestehendes Bewusstsein bis zur Rückkehr des Intellekts in Tagträumereien verlor. Mitunter, sehr selten, geschah es auch, dass sich mein Gemüt urplötzlich verschloss. Zu klarem Denken war ich dann zwar fähig, doch ich war bar jeglicher Empfindung, wodurch meine Gedanken zu einseitigen und somit falschen Folgerungen gelangten. Und mein Wesen war während dieser Zustände kalt und hart - eben herzlos.
Mit diesem Verstand musste ich, seit ich wieder sprechen konnte, Kopfarbeit leisten, jeden Vormittag erhielt ich seitdem von sich abwechselnden Nonnen Unterricht in allen Bildungsfächern. Eine Qual für mich. Da meine Lehrerinnen jedoch zu ihrem Erstaunen bald erkannt hatten, dass die Belehrungen in Fremdsprachen für mich überflüssig waren, waren zumindest diese Fächer fortgefallen. Wenig später aus gleichen Gründen auch Mathematik, denn ich brauchte mich beim Anblick einer Rechenaufgabe lediglich auf das Endergebnis zu konzentrieren, und schon leuchtete es, vom Unterbewusstsein herrührend, vor meinem inneren Auge auf. Mein Geisteszustand war nunmal merkwürdig. Zwar war er mir in diesem Fall hilfreich, doch einen normalen, verlässlichen Verstand hätte ich, weiß Gott, vorgezogen.
Doch dieser Unterricht reichte den Nonnen noch nicht, denn sie fühlten sich bemüßigt, mich in jedweder Hinsicht zu einer heiratsfähigen jungen Dame zu erziehen. Wozu auch alles Können und Wissen einer adeligen Hausfrau mit entsprechend großem Haushalt zählte, beginnend bei unzähligen Höflichkeitsregeln bis hin zum selbst Beherrschen jedweder Gesindetätigkeit. In alledem wurde ich tagtäglich in den frühen Nachmittagsstunden unterwiesen. Theoretisch wie auch praktisch. Bis ins Detail. Und stets, bis ich, für die Schwestern ersichtlich, keine weitere Belehrung mehr aufnehmen konnte.
Umso erfrischender erwiesen sich mir dann die restlichen Nachmittagsstunden, die mir zur freien Verfügung standen. Während derer streifte ich mit Vergnügen durch die weitflächige Klosteranlage mit ihren verschiedenen Gebäuden und den wunderschönen Bepflanzungen. Zur vorderen wie auch zur hinteren Eingangspforte hin erstreckte sich je ein kleiner Park mit würdevoll hochragenden Rotulmen, Kastanien, Espen und Silberpappeln. Rechts neben den Gesindegebäuden grasten auf einer Koppel unsere beiden Esel und pickten die Hühner, diesem Reich schloss sich ein Obstbaumhain an, hinter dem Küchenhaus wuchsen diverse Gemüse, Salate und Beerensträucher, und immer wieder stieß ich bei diesen Streifzügen auf Kräuterbeete, die, je nach ihren Bedürfnissen, entweder zur Morgen-, zur Mittags- oder zur Abendsonne ausgerichtet waren. Besondere Lichtblicke boten zwischen alledem die vielen sorgsam von unseren Gärtnern gepflegten Blumenbeete, die häufig beidseitig die Wege zierten, und an besonders beschaulichen Plätzen luden zum Verweilen Gartenbänke ein. Bedauerlich fand ich allerdings, dass diese schöne Anlage von einer hohen,
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