Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
umsorgende Magda bei mir aus, wenn sie mich wieder mit Schleifchen schmücken wollte, dann schlug, biss und kratzte ich sie so lange, bis sie ihr Ansinnen aufgab. Denn eine dumpfe Erinnerung sagte mir, reizvolle Aufmachung locke Ungeheuer an.
Dank Palmatias sensiblem Einfluss verfeinerte sich indessen mein Gemüt. Dadurch koordinierten sich allmählich meine Regungen, und ich lernte, mit ihnen umzugehen. Da sich während dieses Vorgangs Neugier in den Vordergrund drängte, richtete sich mein Interesse nun vermehrt auf die Klosterbewohner. Und bald erkannte ich: Während die Schwestern fromme Andacht hielten, leuchteten ihre Oberkörper in stillem, melodisch tönenden Blau, erzürnte sich jedoch eine, dann durchzischten sie giftgrüne, scharf riechende Pfeile, wohingegen zärtliche Gefühle in ihrer Aura eine rosa Tönung auslöste. Doch von diesen vorübergehenden Regungen abgesehen, war jeder Person ein mehr oder weniger konstantes Farb- und Tonbild zu Eigen. Mir fiel auf, dass Magda meist von dunkel tönendem Violett durchdrungen und umgeben war, die männliche Priorin von aktivem Rot, die Ärztin Palmatia von Sonnenfarben und Tante Anna, die Äbtissin, von erfrischend klingendem Lindgrün. In meiner damaligen Gemütswelt ohne Intellekt vermeinte ich noch, jeder nehme sein Umfeld entsprechend meiner Beobachtungssinne wahr, und mich selbst hielt ich für ein wesenloses Etwas.
Alles in allem unterlag ich somit in geraffter Zeit dem Werdegang eines heranreifenden Kindes, der dem der menschlichen Evolution entspricht, nämlich: Nachdem die materiellen Körper der Urmenschen ausreichend entwickelt waren, wurde ihnen Astralenergie verliehen, aus der sich Gemüt und Wille bildeten. Dem folgte das Empfangen von Mentalsubstanz, also von Nervenkraft und Intellekt, verbunden mit dem Ich-Bewusstsein, was mir selbst noch bevorstand. Gemüt und Intellekt bildeten dann bei den Menschen gemeinsam den Verstand, wobei stets entscheidend ist, dass sich Gemüt und Intellekt nicht gegenseitig ihren Rang streitig machen, denn das kann zum Spaltungsbewusstsein, zum Irrsinn, führen. Eine Gefahr, die mir noch drohen sollte.
„G anz farblos, schneeweiß, dir wachsen Haare, Tora“, erkannte freudig meine Lieblingsschwester Palmatia und strich mir mit beiden Händen über den Kopf.
Diese Berührung löste unangenehmes Kribbeln auf meiner Schädeldecke aus. Es drang tiefer ein - nun blitzten im Kopf winzige Funken auf, mehr und immer mehr, die unversehens als zahllose Nadelstiche meinen gesamten Körper durchzuckten, bis in die Fingerspitzen und Zehen. Ein unerträglicher Zustand, der jedoch ebenso plötzlich abebbte, wie er eingetreten war.
Freilich blieb mir der Sinn jenes bedeutsamen Ereignisses verborgen, es war die Rückkehr meiner seit Monden verschütteten Mentalkraft, die nun all meine Hirn- wie auch Körpernerven neuerlich sensibilisierte.
Daraufhin entfaltete sich wieder mein Verstand und mit ihm ein Ich-Bewusstsein. Mir wurde immer deutlicher - jede hiesige Person war ein eigenständiger Mensch, auch ich, die Tora. Im Vergleich zu den anderen Klosterbewohnern erkannte ich mich jedoch als ein kaum taugliches Geschöpf, und das löste in mir den Wunsch aus: ‚Ich will ein vollwertiger Mensch sein.’
Angetrieben von diesem Verlangen, übte ich fortan, mich selbst zu kleiden, eigenständig zu speisen und mich ohne an der Hand geführt zu werden über die langen Flure der Klostergebäude wie auch durch das Gartengelände zu bewegen, was mir alles immer besser gelang. Bald verstand ich auch jedes Wort, das die anderen sagten, konnte mich selbst allerdings nicht äußern, meine Zunge schien versteift zu sein.
Etwas später übermannte mich der Wunsch, die Belehrungen der Nonnen besser zu begreifen. Bis mein Eifer überbordete. Ich begann, die Nonnen zu imitieren, wobei ich häufig kicherte, da ich ihre Tätigkeiten wie auch ihr Gebaren oft zu komisch fand. Ich parodierte, wie sie andächtig zu ihrer Kapelle schritten, im Garten voller Hingabe ihre Kräuter begossen und sich beim Tischgebet bekreuzigten. Doch sie fühlten sich nicht verlacht von mir, vielmehr äußerten sie, dieses Gickeln und Gackern sei in meinem Alter üblich, und sie nannten mich amüsiert ein albernes Äffchen.
Ü ber alledem war ich zwölf geworden und war nun Jungfer, denn meine Frauenblutung hatte eingesetzt. „Viel zu früh, viel zu früh“, rang Magda ihre Hände, angesichts der roten Tropfen in meinem Nachtkleid, die ich ihr frühmorgens entsetzt
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