Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
alle nur herabbeugten, und der nur selten mal gnädig ein Ohr geliehen wurde. Und wer es nie selbst erlebt hat, dem sei jetzt gesagt - es ist wahrlich nicht einfach, in einer größeren Familie das Schlussentlein zu sein,
J a, wir sechs Familienmitglieder unterschieden uns schon prächtig voneinander. Alleine in der Haarfarbe herrschte Einigkeit, alle waren wir rothaarig. Mutter, Dietrich und ich waren blondrot, Johannes feuerrot und Vater wie auch EM dunkelrot. Findet man selten, nicht?
W ie mir meine Patin etliche Jahre später berichtet hat, war die Ehe meiner Eltern durch ihre Glaubensverschiedenheit belastet. Mutter war sieben Jahre nach ihrer Eheschließung zu dem neu aufgekommenen protestantischen Glauben übergetreten, und Vater war Katholik geblieben. Heute weiß ich, dass es gerade für einen Mann wie Vater - ein stattlicher Ritter und Sohn eines begüterten Barons - schwer erträglich gewesen sein musste, im Schatten seiner Gemahlin zu stehen, nur der Gatte der landweit verehrten Disengräfin zu sein.
Die Vorsehung hielt seinerzeit jedoch eine Wende für Vater bereit, die ihm in Kürze offenbart werden soll.
Erst in Kürze, denn zuvor gebührte einem anderen Ereignis der Vorrang - unsere EM hielt Hochzeit mit Ritter Adalbert, dem Herrn unseres benachbarten Lehnsdorfes Albenau. Während der Feierlichkeiten in unserem reich geschmückten Festsaal strahlten die Gesichter der Jungvermählten vor Glück mit der Lenzingsonne um die Wette. Doch als sich das Paar am Abend von uns verabschiedete, um nach Albenau, EMs neuem Heim, zu kutschieren, ähnelten EMs Augen einem verhangenen Mond. Und uns Zurückbleibende berührte ihr Auszug aus unserer Burg nicht minder.
Tage danach, wir hatten uns an EMs Abwesenheit noch nicht gewöhnt, empfing unser Vater die Schreckensnachricht vom Tod seines Vaters. Zunächst schmerzlich getroffen, begriff er jedoch bald, dass durch den Tod seines Vaters dessen Titel und Baronie auf ihn übergegangen waren. Darauf reckte sich seine breitschultrige Gestalt um einige Zoll höher - nun war er ein Baron, ein Feudalherr, zu dessen Besitz ein ansehnlicher Gutshof mit Lehnsdorf und dazugehörendem Ackerland zählten. Dietrich und ich fanden, sein neuer Titel stehe ihm ausgezeichnet, Mutter verhieß ihm, mit seiner großherzigen Lebenshaltung werde er seine neue Aufgabe mit Bravour meistern, und Johannes’ kantiges Gesicht wurde vor Stolz fast so rot wie sein Haarschopf, als Vater ihn darauf hinwies, dass er sein Nachfolger sei. Darauf war Johannes sogar bereit, seine Ritterausbildung zu unterbrechen, um sich von Vater in die Führung seiner Lehnschaft einweisen zu lassen.
Leider brachte dieser Umstand dann mit sich, dass unser Zuhause noch einsamer wurde. Denn Vater und Johannes verbrachten nunmehr ihre meiste Zeit auf jenem Gut, das knappe drei Reitstunden entfernt an der Nordwestgrenze unserer Grafschaft und gleichsam unseres Fürstentums Askanien lag. Umso größer dafür jedesmal die Freude, wenn uns EM, Vater oder Johannes besuchten. Dann wurde reich aufgetischt, und für Vater und Johannes arrangierte unsere Mutter im Burghof mitunter auch ein kleines Turnier. Ich selbst genoss am meisten unsere gemeinsamen Abende mit Gesellschaftsspielen und Geschichtenerzählen, bei denen es stets besonders herzlich, oft auch ausgelassen zuging und ich nun endlich als ein fast vollwertiges Mitglied akzeptiert wurde.
Es waren die fröhlichsten und gleichsam heimeligsten Stunden meiner Kindheit.
Kapitel 2
1545 1546 - In Disburg
Celsus Aulus Cornelius: DE MEDICINA LIBRI OCTO
1531 von Johann Schöffer, Mainz
So einträchtig bis dahin unser Familienleben verlaufen war, nun fand es die Vorsehung an der Zeit, uns mithilfe von Stolperstricken zu prüfen.
Über die Vater prompt strauchelte. Er ließ sich zu einer verabscheuenden Zustimmung hinreißen, ausgerechnet unser sonst so gesetzestreuer Vater. Nahe seiner Baronie, in einem Waldstück, das bereits dem Fürstentum Braunschweig angehörte, wurde die Leiche einer Maid entdeckt - geschändet und erwürgt. Vaters Dorfpriester erfuhr als erster von dem grausigen Fund, ließ die Tote kurzerhand über die Grenze in sein Pfarrhaus befördern und informierte Vater. Der hätte als hiesiger Baron den Mord nun umgehend der nächstliegenden Braunschweiger Wache melden müssen, stattdessen aber gestatte er dem Priester auf dessen philisterhaftes Einreden, den sündigen Körper der Toten von allen Teufeln zu befreien. Darauf vollzog der fanatische Priester
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