Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
während er mir auf den Kutschbock half, versuchte ich ein letztes Mal, ihn zur Vernunft zu bringen: „In Eurem Vorhaben liegt kein Sinn, wenn . .“
„Das versteht Ihr nicht“, unterbrach er mich mokant, und als ich meinen Platz eingenommen und die Zügel in den Händen hatte, versetzte er dem linken Rappen einen solch geschickten Hieb aufs Hinterteil, dass beide Pferde wie von Pfeilspitzen getroffen lospreschten. Hätte ich mich nicht fest an die Rückenlehne gepresst, ich wäre vom Bock gestürzt.
Fast eine Stunde benötigte ich, ehe ich mich über diese Ungeheuerlichkeit meines ‚Schutzritters’ einigermaßen beruhigt hatte und sich die verstörten Pferde wieder willfährig lenken ließen.
So schnell es der unebene Boden zuließ, trieb ich sie über den Waldweg, wobei ich mich zeitweise unter Schweißausbrüchen sogar wagte, sie für einige Minuten in Trab zu versetzen, um ja heute noch den benachbarten Gau zu erreichen.
K eine größere Stadt endet an ihrer Ummauerung. Auch nicht Sangerhausen, vor dessen imposantem Nordtor ich nach aufregender zweitägiger Fahrt glücklich angelangt war.
Fuhrwerke, Reiter und Fußgänger drangen aus dem Torhaus, um dann auf der breiten Landstraße nordwärts zu ziehen oder sich auf schmalere Straßen nach Osten oder Westen zu verteilen. Und ebenso viele Menschen drängten von diesen Straßen her dem Stadttor entgegen. Doch längst nicht jeder fand Einlass, schon gar nicht die vielen Höker und Gaukler ohne Lizenzen, die sich dann beidseitig des Torhauses ausbreiteten, um dort ihre Waren oder Kunststücke darzubieten. Zwischen ihnen und dem zahlreichen Publikum erkannte ich auch kleine Garküchen, deren Angebote - warme Suppen, Backwaren und sogar gebratene Fleischstücke - Gaumen kitzelnden Duft verbreiteten. Auch mein Gaumen reagierte darauf, er lechzte nach einer endlich wieder warmen Mahlzeit. Die ich aber nicht besorgen konnte, da ein Fräulein Volksbelustigungen zu meiden hatte. Also begnügte ich mich weiterhin mit unseren im Gepäckraum verwahrten Essensvorräten, wechselte, um den aufmerksamen Stadtwächtern nicht aufzufallen, mehrmals meinen Standort und wartete auf Ritter von Aue. Heute bereits den fünften Tag.
Die Nächte verbrachte ich, zusammengekauert im Fond der fest verschlossenen Kutsche, in einem nahe gelegenem Wald, der sich direkt dem Richtplatz anschloss. Ich wusste, hier war ich vor Überfällen sicher, da jeder Abergläubische - und wer war das nicht? - die angeblich Unheil bringende Nähe eines Richtplatzes furchtbebend mied. Mich bewahrte meine Arglosigkeit vor dieser Furcht.
Stattdessen besorgte mich seit unserer Absonderung von der Karawane die Tatsache, wie gefährlich mir noch meine hexenartige Entstellung werden kann, und da ich eine Dose Thuja-Azulensalbe sowie meinen früheren Gesichtsschleier mit mir führte, begann ich heute, dem Neumondtag, eine neuerliche Salbenkur. Die ich diesmal nicht nur auf die linke Augenpartie beschränkte, vielmehr verteilte ich sie mutig über die gesamte Gesichtshaut, um auch die kleineren Narben weitmöglichst einzudämmen.
N och immer wartete und wartete ich auf Ritter von Aue.
Anderthalb Wochen nach meinem hiesigen Eintreffen, mein Gesicht hinter dem Schleier glühte inzwischen wie eine überhitzte Herdplatte, wagte ich kaum noch, unseren Proviant anzurühren, da ich ihn bis auf einen kümmerlichen Rest Räucherwurst aufgezehrt hatte. Doch mehr als der schwindende Proviant beunruhigten mich jetzt die Stadtwächter, denen ich offensichtlich verdächtig erschien, denn sie fassten mich immer öfter und länger ins Auge.
Wo blieb Ritter von Aue?
Er musste in Nordhausen auf Komplikationen gestoßen sein, sonst wäre er längst hier eingetroffen, und zu finden war ich mit meiner auffallenden Karosse mühelos, zumal ich mich tagsüber nie weit vom nördlichen Stadttor entfernte. Obschon ich mich ernsthaft um den Ritter sorgte, zürnte ich ihm - warum hatte er sich zu dieser vermeintlichen Heldentat hinreißen lassen? Wahrscheinlich nur, um sich und den Nordhauser Stadträten zu beweisen, was einen wahren Ritter ausmacht. Dabei hatte er jedoch außer Acht gelassen, dass Ritter, bei allem Mut, besonnene Männer sind. ‚Das versteht Ihr nicht’, hatte er mir auf mein Drängen, diesen unsinnigen Ritt zu unterlassen, hochnäsig erklärt, und ich war sicher, das hätte auch keine andere Frau verstanden. Ich glaubte sogar, auch kein anderer Mann.
N ach fünf weiteren Tagen, ich kutschierte gerade von meinem
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