Die Himmelsbraut
Gott!»
Phillip winkte ab. «Nimm deinen Karren und verschwind. Und lass dich am besten nie wieder blicken bei uns.»
Damit wandte er sich ab und ging in eiligem Schritt davon.
«Warum hast du so lange gewartet?», fragte Antonia, nachdem sie ihn eingeholt hatte.
«Soll ich’s dir ehrlich sagen? Meinetwegen hätte der Kerl verrecken können.»
Der Wächter öffnete ihr das Hoftor. Antonia wandte sich noch einmal um und blickte ihrem Freund nach, wie er in dem ihm eigenen schlaksigen Gang den Hügel hinunterging. Sie musste daran denken, wie klein und zierlich er einstmals gewesen war und dass sie in den ersten Jahren ihrer Freundschaft immer geglaubt hatte, sie sei die Ältere, weil sie doch um einiges hochgewachsener gewesen war als er. Letzten Sommer aber hatte er ganz plötzlich einen Schub in die Höhe getan, überragte sie inzwischen um Kopfeslänge und hatte sogar seinen älteren Bruder Kilian eingeholt. Nur die schmalen Schultern verrieten, dass es zum richtigen Mannsbild noch ein wenig brauchte.
Ihre Augen begannen zu brennen, und sie musste an sich halten, um nicht loszuheulen. Dabei war sie traurig und wütend zugleich. Eben vor dem Hoftor hatte sie ihn gefragt, ob es ihm nichts ausmache, so weit fortzugehen, und er hatte den Kopf geschüttelt.
«Ein Mann muss hinaus, die Welt kennenlernen. Schau dir doch Kilian an. Für den ist schon der Weg ins Rheintal runter eine Reise in die Fremde. Er ist ein Hasenfuß.»
«Du bist gemein! Dein Bruder ist ein braver Kerl, und das weißt du auch.»
Innerlich aber hatte sie gedacht: Bedeute ich ihm denn gar nichts?
Als Antonia nun den Hof überquerte, stand eine fremde Kutsche vor der Remise. Familie Birkelnuss war also bereits eingetroffen. Ihre Stimmung verdüsterte sich noch mehr. Den ganzen restlichen Tag würde sie mit diesen Leuten verbringen müssen, die sie weder kannte noch kennenlernen wollte, anstatt einen der letzten Sonntagsausritte mit Phillip zu unternehmen.
Aus den halb offenen Fenstern des Herrenhauses drangen Fiedelklänge. Da hatte ihr Vater also tatsächlich einen Spielmann aus dem Dorf geholt – wie albern! Sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, zupfte ihr Gewand zurecht, auf dessen Rock, wie sie bemerkte, ein feuchter Grasfleck prangte, und betrat das Haus.
Zur Feier des Tages waren kostbare Zinnbecher und für jeden ein eigener Teller gedeckt, und bis auf ihre Schwestern hatten sich alle um den großen Tisch zum ersten Umtrunk versammelt. Am Kopfende thronte ihr Vater, am Ehrenplatz zu seiner Rechten Landschreiber Birkelnuss, zur Linken dessen eheliche Hausfrau und ihr zur Seite das Kammerfräulein im besten Sonntagsgewand. Den Damen gegenüber saßen Bernward, der zu diesem Anlass aus Freiburg angereist war, und ein jüngerer Mann, der Reinbolt Birkelnuss sein musste. Antonia starrte ihn unverhohlen an – das also sollte der künftige Bräutigam von Magdalena sein! Er hatte die Gestalt einer Bohnenstange, lang und klapperdürr, und genauso steif saß er auch am Tisch. Das hagere, frisch barbierte Gesicht mit dem vorspringenden Kinn war farblos wie das schüttere Haar, Schultern und Oberarme so schmal, als könne er nicht mal einen Sack Mehl stemmen. Er musste die Mitte zwanzig schon weit überschritten haben, da er sich jetzt aber von Antonia begutachtet sah, schlug er die Augen nieder wie ein verschüchtertes Kind.
Antonia nickte den Gästen zu.
«Gott grüße Euch!», sagte sie mit lauter Stimme, um den Fiedler zu übertönen.
«Wie schön, dass meine Jüngste auch endlich auftaucht.» Ihr Vater wirkte reichlich verärgert, während Bernward ihr verschwörerisch zublinzelte. «Geh in die Küche und hilf beim Auftragen!»
In der Küche verrichteten die Frauen die letzten Handgriffe. Töpfe und Pfannen stapelten sich auf und neben dem Herd, die Tischplatte bog sich schier unter dem Gewicht der vollen Platten und Schüsseln. Dazu duftete es nach Braten und Gewürzbrühe, was Antonias Magen zum Knurren brachte und sie ihre Missstimmung vorübergehend vergessen ließ. Als Magdalena mit zwei Laib Herrenbrot aus der Vorratskammer trat, blieb Antonia der Mund offen stehen: In ihrem neuen hellblauen Gewand, an Schultern und Ellbogen gepufft und mit roten Seidenborten gesäumt, glich sie einem Engel. Das blonde Haar war in der Mitte gescheitelt und mit einem Perlenreif geschmückt. Ohne jeden Neid gestand sich Antonia ein, dass Magdalena die schönste der drei Schwestern war. Sie selbst wirkte dagegen wie ein Bauernmädchen und
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