Die Himmelsmalerin
Almosengang zu den Armen, die sich auf die Franziskaner verließen wie auf keinen anderen Orden. Sie öffnete die Tür zur Sakristei und sah verwundert, dass sich der Raum verwandelt hatte. Werkzeuge lagen herum, in der Luft hing weißer Steinstaub, und auch die wenigen hölzernen Regale und Möbelstücke waren staubbedeckt. Überall lagen Teile von Maßwerk und ordentlich behauene Steine herum. Auf dem Boden hockte Streuner und schlug im Takt des Hammers mit dem Schwanz auf den Boden.
»Hallo, Valentin.«
Ihr Jugendfreund stand hinter dem halbfertigen Kunstwerk und hielt inne, als er sie in der Tür stehen sah. »Lena!«
In dem einen Wort lag so viel. Überraschung, Freude und vielleicht auch eine Spur zögerndes Misstrauen, das Lena, wie sie fand, verdient hatte. Valentin legte Hammer und Meißel an die Seite und wischte sich die Hände an seinem Leinenhemd ab.
»Magst du dich setzen?« Röte überzog seine Wangen. »Und willst du vielleicht etwas trinken? Meine Kehle jedenfalls kratzt von dem ganzen Staub. Ich schau mal, was die Klosterküche zu bieten hat.«
Nachdem er den Raum verlassen hatte, schaute sich Lena die Madonna genauer an, die Valentin für Prior Johannes anfertigte. Sie war nicht ganz einen Meter groß – gar nicht so klein für das Werkstück eines Lehrlings – , leicht in sich gedreht und hatte den Kopf geneigt, als ob sie über etwas nachdachte. Die Haare fielen ihr lang über den Rücken, die Hände, fein und sicher gestaltet, waren im Gebet aneinandergelegt, aber das Gesicht war noch unbehauen, ganz leer. Lena hatte gewusst, dass Valentin seine Arbeit liebte, aber wie begabt er war, hatten die Maßwerkstücke und Profile, die er auf der Baustelle der Liebfrauenkapelle behauen durfte, nicht erahnen lassen. Leise trat er hinter sie und stellte das Tablett mit frischem Traubenmost und zwei Bechern auf einem Tisch ab. Für Streuner hatte er eine kleine Schüssel mit Wasser und einen Knochen mitgebracht. Gierig machte sich der Hund darüber her.
»Sie ist gut«, sagte sie.
»Prior Johannes meint, ich solle meinen Plan aufge- ben«.
»Welchen Plan?«
»Seit dem Tod meines Vaters wollte ich Baumeister werden. Einer, der Kirchen und Kathedralen plant und baut. Steinmetz wäre da nur der erste Schritt. Ich wollte den höchsten Chor der Welt bauen, bis zu den Wolken, und der Erste von vielen Bauleuten sein. Aber Vater Johannes meint, ich sei ein wirklich guter Bildhauer, einer, dem die Formen aus den Fingern fließen.« Er lachte verlegen und goss Most in die Zinnbecher. »Bei der Madonna ist das tatsächlich so. Sie geht mir ganz leicht von der Hand, und Zeit habe ich hier ja auch jede Menge.«
Lena nickte. »Das ist vielleicht gar keine so schlechte Idee. Und Johannes hat wahrscheinlich auch ein sicheres Urteil. Was sagt denn Meister Heinrich Parler dazu?«
Valentin zuckte die Schultern. »Der spuckt Feuer. Er meinte, wenn ich mein Talent, das Erbe meines Vaters, hinschmeißen wollte, sollte ich das nur tun.«
Lena trank. Der Most rann süß und schwer durch ihre Kehle. Valentin war noch durstiger. Er schüttete den Inhalt des Bechers auf einen Zug in sich hinein und spülte damit den Steinstaub weg, der seinen Hals verstopfte.
»Aber wenigstens hat Heinrich nicht nein gesagt, als Prior Johannes ihn um einen Kalksandsteinblock gebeten hat. Und verschiedene andere Werkstücke hat er mir auch gebracht.« Er fasste den ganzen Raum mit einer Handbewegung zusammen. »Damit ich immer was zu tun habe und meine Gesellenprüfung als Gefangener in Angriff nehmen kann.«
Lena öffnete den Mund. »Aber …«, begann sie. »Ich dachte …«
Er lachte leise und bitter. »Lena, schau dich doch mal um. Ich bin im Klosterasyl, weil niemand so recht glauben kann, dass ich unschuldig am Tod von Pater Ulrich bin. Der Rat der Stadt nicht, Prior Balduin auch nicht, und der Hardenberger am allerwenigsten.«
»Aber sagt das Gottesurteil denn nicht genug? Deine Unschuld ist vor Gott bewiesen. Und der Ritter des Herzogs hat dir doch geholfen.«
»Als man mich wie eine ersoffene Ratte aus dem Wasser gezogen hat, ja. Er will halt seine Sache gut machen und ist ja auch kein Unmensch und so. Aber glaub mir, für ihn ist der Fall noch lange nicht abgeschlossen. Er hat sich in die Sache verbissen wie ein Jagdhund in seine Beute und sucht Beweise. Und so warte ich hier auf den Besuch des Königs und darauf, dass man mir den Prozess macht. Vielleicht muss ich mir dann ja keine Gedanken mehr darüber machen, was
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