Die Himmelsmalerin
ich werden soll …«
Lena setzte sich auf den Tisch und baumelte mit den Beinen. Der Mörder musste her, der wirkliche Mörder! Valentin griff nach seinem Hammer und schlug sich damit ganz leicht in die geöffnete Handfläche, wieder und wieder. Lenas Gedanken kamen in Bewegung. Zum ersten Mal in den letzten Wochen dachte sie wieder über Pater Ulrich nach und die Sache mit der Sodo… – was war das noch mal gewesen?
»Der Hardenberger kommt fast täglich.« Valentin flüsterte fast. »Und will wissen, was ich gesehen habe.«
Ihre Augen wurden groß. »Du hast den Mord mit angesehen? Jetzt halt doch mal den Hammer still, das macht mich noch ganz verrückt!«
Seine Hände schlossen sich um den Stiel des Hammers, so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.
»Ja, ich habe den Mord gesehen. Das war fast so schrecklich wie der Tag, als Vater unter dem Turm lag.«
Lena erinnerte sich an den Johannestag vor sechs Jahren, als Valentins Vater vom Gerüst des Südturms gefallen war. Der Südturm der Stadtkirche hatte ihn von Anfang an vor Probleme gestellt. Nach der neusten Mode zarter und fragiler gebaut als sein Gegenstück auf der Nordseite, war der Turm weniger stabil, als Volkhard Murner errechnet hatte. Das war sogar den Steinmetzen bewusst geworden, die immer, wenn sie ihre Arbeit taten, ein leichtes Schwanken und Vibrieren wahrnahmen. Keiner konnte sich erklären, warum der Turm Sperenzchen machte, auch der Baumeister nicht. Am Tag seines Todes war er mit dem Chorherrn Heinrich Schaugiebel, dem Vertreter des Domkapitels zu Speyer, dem die Kirche unterstand, aufs Gerüst gestiegen, um ihm einige kleine Risse zu zeigen. Niemand wusste, wie es sich zugetragen hatte – vielleicht hatte dem Baumeister die helle Mittagssonne ins Gesicht geschienen – jedenfalls hatte er beim Abstieg eine Stufe verfehlt und war in die Tiefe gestürzt, viele Klafter tief. Valentin und Lena, die an diesem Tag mit den anderen Kindern an der Kirchenbaustelle gespielt waren, hatten das Unglück beobachtet. Und dann lag er da, zwischen den Grabsteinen des Kirchhofs, mit gebrochenem Genick und geöffneten Augen, die den Himmel nie wieder erblicken würden. Ruth, Valentins Mutter, war von diesem Tag an nicht mehr sie selbst gewesen und suchte seither ihr Heil in der Pflege der Armen. Und Valentin stand seitdem allein da.
Sie nahm seine Hand. »Und, wie war es?«
»Ich …« Er zögerte. »Es war sehr spät. Sicher nach Mitternacht. Eigentlich ein Wunder, dass der Nachtwächter nicht vor Ort war. Ich befand mich südlich der Stadtkirche auf dem Friedhof. Und da habe ich es gehört. Zwei Männer hatten Streit, Pater Ulrich und ein anderer, den ich nicht kannte. Auf einmal wurde es still. Ich bin zum Wasser hinuntergelaufen. Und da, am Ufer des Kanals, sah ich sie miteinander ringen. Im Mondlicht. Wie zwei Schlangen. Einer war weiß gekleidet, das war Ulrich in seinem weißen Habit. Der Mörder trug einen schwarzen Mantel. Beide waren sehr groß.«
»Woher weißt du das denn?«
»Du hast Ulrich ja auch gekannt. Er war so lang und schmal gebaut wie eine Vogelscheuche. Und der andere Mann war genauso groß.«
»Aber du hast ihn nicht erkannt?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Er trug eine Kapuze. Und dann hat er dem Dominikaner sein Messer entschlossen über die Kehle gezogen.«
»Wie Bruder Thomas gesagt hat«, wisperte Lena.
Valentin lachte leise und traurig. »Ja, und darum glauben mir die Franziskaner auch. Der Mann war gekommen, um Ulrich zu töten. Die ganze Diskussion vorher, das war nur ein Geplänkel. Da ging es nicht wirklich um die Sache. Das Leben des Dominikaners war schon vorher verwirkt.«
»Und dann?«
Valentin zuckte die Schultern. »Als er mich gesehen hat, ist er davongelaufen. Ich bin sofort hin, aber dem Pater war nicht mehr zu helfen. Und der Mörder hat sich in Richtung Kesselwasen davon gemacht – ich habe sein Gesicht nicht gesehen. Und dann, ich weiß auch nicht warum, habe ich den Rest der Nacht neben dem Pater ausgeharrt. Er hat mich so an meinen Vater erinnert, und ich wollte ihn nicht allein im kalten Wasser liegen lassen.«
Tränen waren in Valentins Augen gestiegen. Lena drück-te seine Hand, doch ihre Gedanken machten sich selbstständig.
»Sag Valentin. Wie viele sehr große Männer gibt es in der Stadt?«
»Nicht so viele«, meinte er nachdenklich. »Jetzt, wo der Dominikaner nicht mehr da ist, einen weniger. Ich selbst bin auch nicht gerade klein. Aber der Mörder war noch
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