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Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pia Rosenberger
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größer.«
    »Der Ratsherr Plieninger ist groß«, überlegte Lena. »Bäcker Stifels Sohn Reinhard ist auch ein langes Leiden, aber er hat nicht genug im Kopf.«
    »Und außerdem hat er keinen Grund gehabt«, sagte Valentin. »Dein Lionel ist auch kein Zwerg.«
    »Mein Lionel, was heißt denn das?«
    »Es heißt, was es heißt«, sagte er.
    Lena merkte, wie sie wieder mal rot wurde. Ganz schnell vom Thema ablenken, dachte sie. »Ich kenne noch jemand, der sehr groß ist«, sagte sie.
    »Und wer?« Gespannt schaute er sie an.
    »Prior Balduin von den Dominikanern.«

21
    Er hatte seine Seele verspielt. Nicht sein Körper, seine ewige Seligkeit war das Pfand gewesen, das auf dem Spiel gestanden hatte. Was soll’s, dachte Kilian leichthin. Er hatte es für seinen Freund getan, und so hatte es sich gelohnt.
    Die Buben saßen in der Schulstube auf dem Boden und hielten ihre Tafeln vor sich auf den Knien. Zwanzig blonde, braune und rote Schöpfe neigten sich konzentriert über die Wachstafeln, auf denen die Griffel quietschend kratzten. Sonst war kein Laut zu hören. Die Jungen kannten ihren Schulmeister gut, sie wussten, wann Kilian seine Launen hatte und man ihn besser in Ruhe ließ.
    »Jörg, Finger aus der Nase!«
    Klatsch, die Rute war dem Rotschopf über die dreckige kleine Hand gefahren, noch bevor Kilian ausgeredet hatte. Jörg heulte auf, gehorchte aber aufs Wort.
    Kilian war selbst als kleiner Junge bei den Dominikanern in die Schule gegangen und hatte so viele Tatzen abgekriegt, dass er wusste, was sich gehörte. Nur mit Strenge ließen sich die Lausebengel bändigen, und wer die Rute nicht einsetzte, brauchte sich nicht zu wundern, wenn sie ihm auf der Nase herumtanzten. Zu weit durfte es ein Schulmeister aber auch nicht treiben, sonst ging es seinem Kloster so wie St. Gallen, das im Jahr 937 abgebrannt war, weil ein Schüler, der der Prügelstrafe entgehen wollte, es vor lauter Verzweiflung angesteckt hatte.
    »Auch wenn der Rücken krumm wird und die Augen tränen«, sagte Kilian streng. »Lesen und Schreiben lernen ist wichtig, denn in Büchern steht die ganze Welt.«
    Die Buben schauten auf und nickten ihm zu. Dann las er weiter, in klarem, gut betontem Latein, ein kurzes Gedicht von Horaz, das sie mitschreiben und dann übersetzen sollten. Dabei würde er ihnen helfen, denn eigentlich waren sie noch lange nicht so weit. Aber er wollte ihnen zeigen, wie wunderbar die Sprache der antiken Kultur die Dinge auf den Punkt bringen konnte.
    Anders als seine Schüler verstand Kilian auf Anhieb, was er las. Nur die wenigsten reichen Patriziersöhnchen und das ein oder andere Kind wohlhabender Kaufleute oder gut situierter Handwerksmeister würde so weit kommen, wenigstens etwas Küchenlatein zu beherrschen. Sie waren hauptsächlich hier, um Rechnen zu lernen und grundlegende Lesekenntnisse zu erwerben, die man bei den Dominikanern mit Bibelsprüchen erwarb.
    Bei ihm war es anders gewesen. Als er sich mit sechs Jahren zum ersten Mal in die Schule gewagt hatte, im Schlepptau des etwas älteren Valentin, da waren ihm die Grundrechenarten und das Alphabet fast von allein zugefallen. Auch die Struktur des Lateinischen hatte sich ihm auf Anhieb erschlossen. Schon zwei Monate nach seinen ersten Grammatikstunden hatte er den älteren Mitbruder, der damals Schulmeister war, nach Cäsar und Seneca und Cicero ausgequetscht, bis dieser ihm die kostbaren Folianten aus der Klosterbibliothek gebracht hatte. Kilian hatte sie verschlungen – die Schriften über den Krieg, die Politik und die Liebe, die die Heiden in jener fernen Zeit, die man Antike nannte, aufgezeichnet hatten. Zuerst Buchstabe für Buchstabe, dann Wort für Wort, doch schließlich war es leichter gegangen, denn die Struktur der Sprache hatte sich ihm geöffnet wie ein fein geknüpftes Gitternetz, dessen Knoten immer wiederkehrende Gesetzmäßigkeiten waren. Als es dem Schulmeister zu dumm geworden war, ihm ständig die Bücher zu holen, und er außerdem vor Kilians Spitzfindigkeiten seine Ruhe wollte, verbrachte er mehr und mehr Zeit in der Bibliothek. Valentin und seine Kumpels blieben in der Schulstube, aber Kilian unterrichtete sich ab diesem Tag selbst. Welche Wunder es dort gab, Werke über Geschichte und Theologie, Astronomie und Mathematik, die er alle gelesen, aber sicher nicht alle verstanden hatte. Schließlich war er dort ein und aus gegangen, so regelmäßig, dass die betagten Patres, die an ihren hohen Schreibpulten auf Pergamenten kratzten, den

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