Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
Taru stieß ein überraschtes Grunzen aus, ließ ihre Haare los und machte einen unbeholfen torkelnden Schritt zur Seite, bevor er mit einer schon fast lächerlich langsamen Bewegung in die Knie ging und die Hände viel zu spät schützend vor den Unterleib brachte.
Da waren auch schon zwei von Amars Kriegern herangekommen. Ihre Mäntel wehten ebenso wie ihre langen Haare, und Arri erwartete, dass sie ihre Waffen ziehen und sie auf der Stelle erschlagen würden. Mit einer Mischung aus ruhiger Gefasstheit und Angst starrte sie ihnen entgegen – und zuckte zusammen, als sie wie auf ein geheimes Kommando noch im letzten Augenblick die Richtung änderten, Taru unter die Arme griffen, um ihn hochzureißen und mit sich zu zerren.
»Tu das nie wieder«, sagte Amar mit Zorn in der Stimme. Und etwas leiser fuhr er fort: »Wenn du deine Unbeherrschtheit nicht in den Griff bekommst, wird deine Herrschaft nicht einmal ein paar Tage währen.«
Es dauerte eine Weile, bis Arri begriff, dass Amar gar nicht sie angesprochen hatte, sondern Taru, den die beiden Krieger jetzt wieder von sich stießen. Dragosz’ Sohn taumelte ein paar Schritte weiter, bis er vor Amar in die Knie ging. Es war ein Bild des Jammers.
Aber auch Arri kam nicht ungeschoren davon.
»Solltest du jemals so etwas mit mir versuchen«, sagte Amar, während er sich zu ihr umwandte und sie mit einem Blick maß, aus dem jede Wärme verschwunden war, »schneide ich dir die Kehle durch.«
Es dauerte nicht lange, bis Lexz auf das Mädchen stieß. Es hockte an einem kleinen Seitenarm des im Sonnenlicht flirrenden Baches und kühlte die nackten Füße im frischen Wasser, das so unbekümmert und verschwenderisch über flache Kiesel und gefallenes Gezweig hinweggluckste, als hätte es in letzter Zeit nicht einmal im Entferntesten das Anzeichen für einen lebensbedrohenden Wassermangel gegeben. Auch hier fiel Lexz wieder auf, wie viel Laub die Bäume bereits verloren hatten. Dies allerdings aus einem ganz besonderen Grund.
Das Mädchen hockte mit ihrem Rock auf einem Bett aus rotgelben Blättern. Es sah so malerisch und verführerisch aus, dass Lexz’ Herz einen kleinen Sprung machte.
»Ach, Lexz«, sagte sie, als er hinter ihr stehen geblieben war. Sie wandte ihm den Kopf zu und lächelte ihn an. »Willst du dich nicht zu mir setzen?«
Und ob Lexz das wollte! Trotzdem zögerte er. Es erschien alles … so unwirklich. Als würde gerade ein alter, immer wieder geträumter Traum Realität werden, als wären die Grenzen zwischen dem täglichen Überlebenskampf und dem in unruhigen Nächten verspürten Verlangen nach Liebe plötzlich aufgehoben.
»Wer bist du?«, fragte er, und ehe er es sich versah, setzte er mit der entscheidenden Frage nach: »Bist du Arri?«
»Arri?« Über das Gesicht des Mädchens lief ein Schatten. »Wie kommst du gerade auf sie? Du kannst sie doch nicht einmal kennen!«
Diese Antwort verwirrte Lexz vollständig. Wenn das Mädchen nicht Arri war – und so verstand er ihre Worte –, dann kannte es aber trotzdem diesen Namen? Wie sollte das möglich sein? Arri war nicht von seinem Volk, sondern lebte irgendwo ganz anders. Wenn ihm Dragosz nicht von ihr und ihrer Mutter Lea erzählt hätte, hätte sich ihr Name auch niemals in seinem Kopf festgesetzt.
»Du stehst da und starrst mich an, als sei ich ein Gespenst«, schmollte das Mädchen.
»Wie …?« Lexz schüttelte leicht den Kopf. »Entschuldige. Ich wollte dich nicht anstarren.«
»Dann ist es ja gut.« Das Mädchen klopfte einladend neben sich aufs Laub. »Und jetzt setz dich endlich zu mir.«
Lexz atmete tief ein, und erst als er ganz langsam wieder ausgeatmet hatte, wagte er es, der Einladung Folge zu leisten. Sein Herz klopfte viel zu laut und viel zu schnell, als er sich neben die Unbekannte setzte, die seine Seele dennoch so berührte, als kenne er sie schon ewig.
»Ich benehme mich wie ein Dummkopf«, rutschte es aus ihm heraus, obwohl er eigentlich etwas ganz anderes hatte sagen wollen.
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Sagen wir mal: wie jemand, der in letzter Zeit ganz andere Dinge im Kopf hatte, als mit einem Mädchen am Bach zu sitzen. Wobei du wahrscheinlich in letzter Zeit beides nicht zu Gesicht bekommen hast.«
»Was?«
»Einen Bach – und ein Mädchen wie mich.« Sie sah ihn von der Seite an, und ihr Gesichtsausdruck erschien ihm wieder ein wenig vorwurfsvoll. »Eigentlich sollte ich dir ja böse sein. Warum fragst du nach Arri? Und warum erkennst du mich
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