Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
Regen, den man sich nur vorstellen kann.« Ihr Kopf machte eine letzte kreisende Bewegung, als bewege sie ihn zu einem wilden Trommelrhythmus, dann hielt sie abrupt an, legte den Kopf schief und starrte mit entschlossenem Blick auf Arri hinab. »Also greif endlich zu. Oder willst du, dass sich die Ratten über diese wunderbare Suppe hermachen? Ich will ja nicht prahlen, aber ich glaube, damit ist mir ein echtes Meisterwerk gelungen.«
Wie zur Antwort knurrte Arris Magen so laut, dass es wohl noch auf der anderen Seite des Sees zu hören gewesen wäre, hätte nicht das harte Prasseln der Regentropfen alle anderen Geräusche übertönt. »Ich habe gar keinen Hunger«, behauptete sie dennoch. »Außerdem werde ich euch bestimmt kein Essen wegnehmen.« Sie deutete auf die lästige Fußfessel aus Kupfer, die Isanas Vater angebracht hatte und deren Gegenstück er so sorgfältig an dem roh behauenen Mittelpfosten der Hütte befestigt hatte, als solle sie hier bis zum Ende aller Zeiten festgehalten werden. »Wie hättet ihr bei der großen Wanderung jemanden genannt, der seinen Teil für die Gemeinschaft nicht beigetragen hat? Einen Schmarotzer?«
Isana strich sich eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht und ließ sich dann mit einem kleinen Seufzer auf der trockensten Stelle nieder, die der Boden der Hütte zu bieten hatte – was bedeutete, dass er nur feucht und nicht richtig nass war. Der Tochter des Schmieds schien das zu genügen, und dies sollte Arri eigentlich nicht wundern; die früh gestorbene Schwester ihrer Mutter war, wie man sich im Dorf erzählte, genau so gewesen. Mit ihrer zierlichen Gestalt, dem fast pechschwarzen Haar und den wachen Augen, die ruhelos umherirrten, galt sie als Ebenbild der Schwester ihrer verstorbenen Mutter, und genauso wie man es dieser nachsagte zeichnete auch Isana ein scharfer Verstand, Ehrlichkeit und hohe Genügsamkeit aus.
Bislang war es für Arri eine Nebensächlichkeit gewesen, doch jetzt schien das alles anders zu sein. Jedes Mal, wenn Arri Isana sah, überkam sie nicht gerade eine Mischung aus Zuneigung und Stolz, sondern etwas ganz, ganz anderes. Sie musste Bitterkeit herunterschlucken, die sie regelmäßig spürte, da sie in Isana das jüngere Abbild von Dragosz’ erster Frau Surkija zu erkennen glaubte. Bitterkeit? Nein, das war noch mehr. Es war schon schlimm genug für sie, dass Taru ein Abbild seines Vaters war. Aber eine richtige Qual war es erst, dass Isana so aussah wie die Frau, die Dragosz einst so sehr geliebt hatte – und die jetzt im Reich der toten Helden seine Gemahlin für die Ewigkeit werden sollte!
Es war ganz fürchterlich, am schlimmsten war aber, dass sie sich das noch nicht einmal anmerken lassen durfte. Aus ihrer Abneigung gegen Taru brauchte Arri keinen Hehl zu machen, aber dass sie jedes Mal ein regelrechter Hass überkam, wenn Isana ihr zulächelte, war geradezu unerträglich. Wenn es irgendwie möglich gewesen wäre, wäre sie Kenans Tochter aus dem Weg gegangen.
Aber das war es nicht. Und das nicht nur, weil sie gefesselt war und Isana sie mindestens einmal am Tag aufsuchte. Nein, es war schon deswegen unmöglich, weil Isana ihre einzige aufrichtige Freundin war.
Was für ein hinterhältiges Spiel, das die Götter da mit ihr trieben! Es kam Arri so vor, als wollten sie sie immer und immer wieder in Versuchung führen, als setzten sie alles daran, dass ihre Gefühle endgültig überbordeten und sie nicht mehr ein noch aus wusste. Irgendwann würde sie dann tatsächlich etwas Schreckliches tun, und aus ihrer Unschuld würde eine fürchterliche Schuld werden, die dann alles rechtfertigte, was man ihr antat.
Sie atmete tief aus, und es klang fast wie das Geräusch, mit dem ein Krieger sein Schwert zieht und sich seinem Gegner zuwendet, um ihn mit ein paar heftigen Hieben in Stücke zu spalten.
»Ist dir nicht gut?«, fragte Isana. Ihre Stimme klang ganz harmlos. Arri hätte jedoch schwören können, dass Heimtücke in ihr mitschwang.
Und das nur, weil Isana der verstorbenen Surkija so sehr glich! Weil die beiden Frauen in Arris aufgewühlten Gefühlen in Augenblicken wie diesen geradezu verschmolzen, und weil Arri ganz tief in ihrem Herzen glaubte, es sei nicht die Tochter des Schmieds, die ihr gegenübersaß, sondern sie hätte sich auf dämonische Weise in Surkija verwandelt!
Und das hätte ja auch einen Sinn ergeben. Arri und Surkija waren Rivalinnen, und das, obwohl die Heilerin seit mehr als zwei Sonnenwenden gestorben war! Und selbst
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