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Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Gipfel hervorstach.
    Vorsichtig setzte sie ihren nackten Fuß auf einen schmalen Grat, dessen Spitze sich in ihre Sohle eingrub. Doch sie bemerkte es kaum. Ihre Fingerspitzen glitten auf der Suche nach einem Halt über vollgesogenes Moos, und ihre Handflächen schrappten über rissiges Gestein, bevor sie sich an einer Felsnase immerhin so weit festklammern konnte, dass sie nicht gleich weiterrutschte, über den Rand des bröckligen Pfads hinaus. Sie stieß einen zitternden Laut aus, der sich mit dem wütenden Gekläff der beiden Hunde, die sich auf ihre Fährte gesetzt hatten, zu etwas Ungutem vermischte. Tief in ihrem Inneren begriff sie, dass sie jetzt nahe daran war, in Panik zu geraten.
    Was tat sie hier eigentlich – außer, sich in ihrem ohnehin schon angeschlagenen Zustand in Lebensgefahr zu bringen?
    Das Hundegebell wurde lauter, aggressiver und vermischte sich mit dem unbeherrschten Geschrei ihrer Verfolger, die die Hunde unbarmherzig vorantrieben, damit sie die gefährliche Giftmischerin aufspürten, für die sie ihre ehemaligen Freunde jetzt hielten. Arri begriff, dass sie einen ganz und gar unnötigen Fehler gemacht hatte. Sie hatte es für eine besonders gute Idee gehalten, nicht den direkten Weg zum Steinbruch zu wählen, auf dem schmalen Pfad entlang, der vom Ufer her über eine Wiese bis zu einem Geröllfeld führte und in den Hügeln endete. Er war ihr als zu gefährlich erschienen, weil ihre Füße so deutliche Abdrücke im Schlamm und auch im Gras hinterlassen hätten, dass selbst ein zweijähriges Kind ihrer Spur hätte folgen können. Den Hügel hinauf, über Stock und Stein, dabei nicht auf vollgesogenes Moos treten, sondern immer auf der Suche nach festem, steinigem Untergrund bleiben, das war ihr wie ein guter Einfall vorgekommen.
    Dabei hatte sie auf diese Weise nur kostbare Zeit verloren. Viel besser wäre es gewesen, sofort und ohne Rücksicht auf irgendwelche Spuren zur Höhle zu laufen und das Schwert ihrer Mutter zu holen, das sie dort versteckt hatte, um dann so schnell wie möglich in die Abenddämmerung hinauszulaufen und zu sehen, dass sie möglichst viel Strecke zwischen sich und die Männer und Frauen brachte, die sie für das Unglück verantwortlich machten, das über sie gekommen war.
    Das konnte sie jetzt vergessen. Jede einzelne Bewegung kostete sie eine Kraft, die sie nicht mehr hatte, und brachte sie zudem noch kaum voran. Dies alles hatte sie sich viel leichter vorgestellt. Trotz der dichten, fast schwarzen Wolkendecke war es über ihr noch so hell, dass sie ihre Umgebung erkennen konnte, und trotzdem wusste sie nicht genau, wo sie war und wie sie von hier aus zur Höhle kommen sollte. Sie wusste nur, dass sich der Eingang irgendwo unter ihr in der Wand befand, verborgen hinter Gebüsch, ein tiefes finsteres Loch, das scheinbar endlos in den Berg hineinführte. Wie hatte sie sie damals nur finden können? War es nicht so gewesen, als hätte eine unbekannte Kraft sie gezogen und keine Ruhe gegeben, bis sie endlich hochgeklettert war und einen Busch beiseite gedrückt hatte …
    Ja, genau so war es gewesen. Bei der Erinnerung daran überkam sie ein ganz merkwürdiges Gefühl, und es schien ihr, als lächele ihre Mutter ihr wie in den alten Zeiten am Fluss zu. »Siehst du, Kind«, schien sie zu sagen. »Du musst nur zu dir selbst finden. Alles, was du brauchst, ist in dir – immer und an jedem Ort.«
    Damals war ihr das wie dummes Gerede vorgekommen, heute war sie sich dessen jedoch nicht mehr so sicher. Lea hatte ihr den Gebrauch von Wünschelruten beigebracht, wie ihr jetzt wieder einfiel, und nach endlosen, vergeblichen Versuchen hatte sie gespürt, wie die Weidenzweige zwischen ihren Fingern zu vibrieren begonnen hatten, als besäßen sie ein Eigenleben. Und kurz darauf hatte sie eine Wasserquelle gefunden.
    Ihre Mutter hatte sie gelobt und dann gesagt: »Es kann sein, dass dir das eines Tages noch das Leben rettet.«
    »Wenn ich mit Weidenzweigen spiele?«
    »Nein«, hatte ihre Mutter geantwortet. »Wenn du Durst hast und kein Wasser findest.«
    »Wie sollte ich kein Wasser finden? Wir wohnen doch am Fluss! Da kann ich so viel Wasser schöpfen, wie ich will!«
    So merkwürdig war ihre Mutter gewesen: Sie hatte ihr etwas vollkommen Nutzloses beigebracht. Zumindest hatte Arri das geglaubt, bis die Dürre gekommen war, jene endlos harten Tage, die mit sengenden Sonnenstrahlen die Pflanzen und Bäume hatten verdorren lassen. In der allergrößten Not hatte Arri dann doch den

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