Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
»Muss mir ja mal n bisschen näher angucken, was ich so erben werde.«
Kyra fuhr rechts ran. Sie schaute die Grüne nicht an. »Also dann.«
»Also dann. War schön, dass ich dich getroffen hab.« Isabelle Konrad boxte gegen ihre Schulter. »Und -«, Kyras Hand öffnete sich und blieb auf der Schulter liegen, »- wär schön, wenn ich dich irgendwann mal wieder sehen könnte.«
Sie war schon ausgestiegen, als sie sich noch einmal in
den Wagen zurückbeugte. »Hey, Frau Journalistin, sone armen kleinen Waisenkinder müssen immer zusammenhalten.«
Er war ein feiner alter Herr. Das spürte sie sofort. Wie er dort bei den Bücherkisten stand und in den alten Leinenbänden blätterte.
Sie wanderte unauffällig einmal um ihn herum. So ein feiner alter Mann. Mit Glatze und langem weißen Bart. Was für ein Glück, dass sie ihn getroffen hatte. Sie musste lächeln. Natürlich war es kein Glück im Sinne von EUTYCHIA, glücklicher Zufall. Nein. Dieser Mann war auserwählt. Und das machte sie glücklich. So rund und eben und glücklich wie ein Ei.
Achtlos schlug sie eine schäbige alte Ausgabe der »Olympischen Oden« auf. Sie hatte gar nicht zu hoffen gewagt, dass die Götter ihr so schnell ein zweites Hirn schicken würden. Aber es war gut, dass sie es getan hatten, ein Zeichen, das spürte sie jetzt. Vor einigen Tagen hatte die merkwürdige Unruhe wieder begonnen. Zuerst hatte sie es gar nicht wahrhaben wollen, dass da in ihrem Kopf wieder etwas wuchs. Sie war sogar so dumm gewesen und hatte versucht, es mit Kopfschmerztabletten abzustellen. Als ob sich die Bilder mit Kopfschmerztabletten abstellen ließen! Gar nichts konnte sie abstellen, wenn sie erst einmal angefangen hatten zu wachsen. Das wusste sie nun. Und damit musste sie sich abfinden. Die Bilder kehrten zurück. Nichts von wegen »einmal-und-niewieder«.
Einnisten. Wachsen. Schädelsprengen oder raus. - Das war der ewige Kreislauf. Und welche Rolle ihr in diesem ewigen Kreislauf zukam, das hatte sie jetzt erkannt.
Der alte Herr hatte sein Buch bezahlt. Hastig schlug sie den Pindar zu und stellte ihn ins Regal zurück.
»Isabelle war den ganzen Abend und die ganze Nacht bei mir. Hier in Hamburg.« Die aschblonde Frau verschränkte die Arme vor der Brust. Obwohl sie um die Augen herum einen müden Zug hatte, war klar, dass es nicht leicht sein würde, sie einzuschüchtern. Eine selbstbewusste Frau, die mit beiden Beinen in den Vierzigern stand.
»Ja. Ja. Das hamse uns letzte Woche auch schon erzählt. Wollense uns heute nicht zur Abwechslung mal erzählen, wies wirklich war?« Der Kommissar kratzte sich schlecht gelaunt am Ohr.
»Isabelle war die ganze Nacht bei mir.«
»Frau Krüger«, sagte der andere Beamte sanft. »Sie wissen, dass Sie sich strafbar machen.« Guter Bulle-Böser Bulle auf hanseatisch.
»Seit wann ist es strafbar, die Wahrheit zu sagen?«
»Ja. Aber ist es die Wahrheit, die Sie uns sagen?« Der Gute Bulle schaute sie sorgenvoll an.
»Weiß Ihr Vorgesetzter eigentlich, dass Sie Ihre Nächte mit zwanzig Jahre jüngeren Frauen verbringen?« Böser Bulle.
»Was soll das? Wollen Sie mich erpressen?«
Guter Bulle: »Frau Krüger. Sie haben meinen Kollegen falsch verstanden. Wir wollen nur verhindern, dass Sie wegen dieser Angelegenheit großen Ärger bekommen. Ärger, den Sie vermeiden könnten.«
»Isabelle war die ganze Zeit bei mir.«
»So. Und wie erklärense sich dann, dass wir n Zeugen haben, der Isabelle Konrad an besagtem Samstagabend in Berlin gesehen hat.«
»Dieser Zeuge lügt.« Ella Krüger blieb ruhig.
»Es handelt sich um eine Zeugin.«
»Und zwar um n ziemlich frischen, ziemlich steilen Zahn, wenn ich genau sein soll.« Der Böse Bulle grinste.
»Sparen Sie sich Ihre billigen Tricks.« Der Satz kam zu schnell. Zu heftig.
»Das tut mir jetzt aber Leid, wenn wir Ihnen da was Neues gesagt haben«, setzte der Böse Bulle zufrieden nach. »Aber ich dachte mir, Sie wüssten, mit wem sich Isabelle in Berlin rumtreibt. Wo Sie beide doch so n enges Verhältnis haben.«
»Isabelle war die ganze Nacht bei mir«, wiederholte die Frau und sah den Bösen Bullen mit ruhigen grünen Augen an.
»Homberg« stand in sauber eingravierten Buchstaben auf dem Messingschild neben der Klingel. Kein »Familie Homberg«, kein »Josef und Maria Homberg«, sondern einfach nur »Homberg«.
Sie musste den Hals verrenken, um zwischen den dichten Koniferen hindurch den Eingang des Bungalows sehen zu können. Ihr Homberg schloss
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