Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
gerade die Tür auf. Zwischen den ganzen anderen Villen hier nahm sich sein Häuschen ziemlich bescheiden aus. Aber das machte nichts. Sie legte den Kopf schief und lauschte. Kein Bellen oder Rufen ließ darauf schließen, dass ihn drinnen jemand erwartete. Und auch er schien niemanden begrüßen zu wollen.
Sie schlenderte langsam an dem niedrigen Koniferenzaun entlang. Conifer, conifera, coniferum - Zapfen tragend. Abwesend rupfte sie einige Nadeln aus. Sicher lebte ihr Homberg allein. So ein feiner alter Herr musste einfach allein leben. Konnte sein, dass er früher einmal verheiratet gewesen war, aber dann war seine Frau schon lange tot. Die Götter würden ihr bestimmt nicht einen so feinen alten Herrn schicken und ihn dann in Gemeinschaft leben lassen.
»Und Sie sind wirklich nicht von der Zeitung? Weil sonen Zeitungsschweinen hab ich nämlich nix zu sagen.«
»Sehe ich vielleicht aus wie ein Zeitungsschwein?« Kyra lächelte die Frau, die graubesockt im Türrahmen lehnte, herzlich an. »Ich bin eine Freundin von Isabelle. Ich mache
mir Sorgen, dass sie wieder mal gewaltig in der Scheiße steckt.«
»Gibts irgendnen Tag, an dem Isi nicht gewaltig in der Scheiße steckt?« Der Anfall von Freundlichkeit dauerte nur kurz. »Woher kennen Sie Isi denn?«
»Aus Hamburg. Sie ist eine Zeit lang bei mir untergekrochen, als sie damals wieder weg ist aus Berlin.«
»Sie sind die aus der Hafenstraße?« Die Sockenfrau klang plötzlich beeindruckt.
Kyra nickte. Ernsthaft, wie es einer Hardcore-Hausbesetzerin zukam. Manchmal war es gut, wenn man kaputte alte Lederjacken nicht wegwarf, sondern im Keller zum Schimmeln aufbewahrte. »Also. Lassen Sie mich jetzt rein?«
»Na logo.« Die Frau öffnete die Tür. Kyra folgte ihr durch einen fliederfarben gestrichenen Flur mit weißen Stuckverzierungen.
»Mensch, ihr habt ja richtig was draus gemacht.« Kleine Freundlichkeiten unter Hausbesetzerinnen.
Die Sockenfrau schaute Kyra glücklich an. »War auch Stress und Maloche ohne Ende. Aber dir muss ich ja nicht erzählen, was das fürn Kampf ist, bis du in so nem besetzten Haus endlich legal gemacht wirst. - Wohnst du jetzt auch in nem legalisierten Haus?«
»In Hamburg haben die Schweine doch alles plattgemacht. So easy wie bei euch hier in Berlin wars bei uns mit dem Legalisieren nicht.« Kyra blickte die Sockenfrau an. Respekt verschaffen, ohne Waffen.
Die andere nickte. »Am besten, wir gehen hinter ins Gemeinschaftszimmer.«
»Wie viele seid ihr hier?«
»In dieser Wohnung vier. Aber weißt du, eigentlich verstehen wir uns nicht als WG. Wir sind ne ganze Hausgemeinschaft. Fünfunddreißig Frauen.«
»Fünfunddreißig Frauen«, wiederholte Kyra. Und hoffte, dass die andere ihr Krächzen für Bewunderung hielt.
»Magst du was trinken? Aber Alkohol gibts bei uns nicht. Ich hab vorhin grad kalten Früchtetee gemacht.«
»Danke. Ich brauch nichts.«
Kyra setzte sich in einen der Korbsessel, die in unregelmäßiger Runde beieinander standen. Sie versuchte sich vorzustellen, wie die Grüne hier in Ökowollsocken zusammen mit vierunddreißig anderen Frauen in Ökowollsocken hockte und die Vorzüge und Nachteile des kollektiven Menstruierens diskutierte.
»Hat Isi lange bei euch gewohnt?«
»Puh, wart mal«, die Sockenfrau legte die Stirn in Falten und hakte den rechten Zeigefinger um den linken. »Also ich denk, das war so um Neunzig rum, als Isi zu uns gekommen ist. Da hatte sie vorher schon vielleicht so zwei Jahre oder so in nem besetzten Haus in Kreuzberg gewohnt. Und als das hier im Prenzelberg losging, ist sie rübergekommen. Und dann, ich weiß nicht, also ich würd mal sagen, dass sie vielleicht so Dreiundneunzig wieder abgehauen ist.«
Kyra nickte. »Ja, das kann hinkommen.« Der Berliner Morgen war im Januar Dreiundneunzig gegründet worden.
»Welches Haus in der Hafenstraße war denn eures?«
»Nummer drei. Also das, was vorher mal Nummer drei gewesen war.« Kyra fluchte stumm. Wie überaus nützlich wäre es gewesen, sich vorher im Archiv noch einmal über die Einzelheiten des Hamburger Häuserkampfs informiert zu haben.
»Das gelbe? Gleich, wenn man in die Hafenstraße reinkam, links? So n bisschen kenn ich das ja. Weil: Wir sind mal n paar Tage rübergefahren, so aus Solidarität.«
»Hast du Isi in letzter Zeit gesehen?« Entschiedener Themenwechsel.
Die Sockenfrau zog die Knie an und wurschtelte sich auf ihrem Sessel in einen halben Schneidersitz hinein.
»Nö. Als Isi nach Hamburg zurück
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