Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin
abzuhacken und dem Thiere noch weitere Beilhiebe zu versetzen. Nach einem letzten Untertauchen erschien es aufs neue und peitschte jetzt das Wasser so furchtbar, daß eines der Boote dem Kentern nahe kam. Endlich stieg der Kopf des Wales höher über das Wasser empor, und aus ihm spritzte – ein Zeichen des bevorstehenden Endes – ein blutgefärbter Schaumstrahl auf.
Immerhin galt es noch bei den letzten Zuckungen des mächtigen Thieres auf seiner Hut zu sein. Gerade dabei sind die Jagdboote am schlimmsten gefährdet, denn ein einziger Schlag mit dem Schwanze genügt, sie zu zerschmettern. Diesmal glückte es den beiden Lieutenants, einem solchen Schlage aus dem Wege zu gehen, und nachdem sich der Walfisch auf die Seite gedreht hatte, blieb er regungslos auf der Meeresfläche liegen.
Eben jetzt befanden sich die beiden Boote etwa anderthalb Meilen vom »Saint Enoch« entfernt, der im Heransegeln war, um diesen den Weg abzukürzen. Der Seegang wurde bei nordwestlicher Brise allmählich etwas lebhafter. Uebrigens war der erbeutete Walfisch so groß, daß die Leute viel Mühe gehabt hätten, ihn an das Schiff zu schleppen.
Zuweilen kommt es vor, daß die Boote mehrere Meilen weit von ihrem Schiffe verschlagen oder richtiger weggezogen werden. Steht dann gar eine widrige Strömung, so sind sie genöthigt, sich mittels eines kleinen Wurfankers am Walfische festzulegen, und man nimmt diesen erst, wenn die Strömung sich umgekehrt hat, ins Schlepptau.
Heute war es nicht nöthig, damit zu warten. Gegen vier Uhr hatte sich der »Saint Enoch« bis auf wenige Kabellängen genähert. Die beiden Boote fuhren auf ihn zu, und noch vor fünf Uhr war der todte Wal schon an der Seite des Schiffes festgelegt.
Der Lieutenant Allotte und seine Begleiter wurden von der ganzen Besatzung freudig beglückwünscht. Das Thier war wirklich von sehr ansehnlicher Größe, denn es maß – bei den südlichen Walen eine Seltenheit – zweiundzwanzig Meter in der Länge bei zwölf Metern Umfang hinter den Brustflossen, was etwa ein Gewicht von siebzigtausend Kilogramm erwarten ließ.
»Meinen Glückwunsch, Allotte, meinen Glückwunsch! rief Bourcart wiederholt, das ist ja ein schöner Anfang, und wir brauchten nur wenige Wale von solcher Größe, unsere Thranfässer zu füllen. Was meinen Sie, Meister Cabidoulin?
– Ich? antwortete der Böttcher. Na, so an hundert Fässer Thran wird Ihnen der Bursche schon einbringen, und sollt’ ich mich dabei vielleicht um ein Dutzend Fässer irren, so liegt das daran, daß ich das Abschätzen seit längerer Zeit etwas verlernt habe.«
Jean-Marie Cabidoulin verstand sich darauf aber jedenfalls noch so weit, daß er wenigstens einen größeren Schätzungsfehler gewiß nicht beging.
»Heute, erklärte dann der Kapitän Bourcart, ist es schon zu spät. Der Seegang nimmt ab und der Wind auch, so können wir also unter kleiner Segelfläche liegen bleiben. Legt nur den Walfisch ordentlich fest an, morgen mag dann dessen Zerlegung beginnen.«
Der Wal spritzte noch immer einen weißschaumigen Strahl aus. (S. 39.)
Die Nacht blieb still und der »Saint Enoch« brauchte nicht zu lavieren. Sobald dann die Sonne über den Horizont heraufstieg, ging die Mannschaft an dei Arbeit, und zunächst wurden die Lauftaue um das erbeutete Thier gelegt, um dieses mit Hilfe des Spills beliebig drehen zu können.
Dann zog man eine Kette unterhalb der einen äußeren Flosse hindurch, die oben mit einem Tauring geschlossen wurde, um ihre Lage zu sichern. Sobald die Harpuniere dann die andere Flosse abgehackt hatten, begannen die Matrosen die Stangen des Gangspills in Bewegung zu setzen, um das Thier näher an Bord heranzuziehen. Dazu war es nur nöthig, dieses um sich selbst zu drehen, was nach den getroffenen Vorbereitungen keine Schwierigkeiten machte.
Zuerst wurden nun die Weichtheile des Kopfes in Angriff genommen: die Unterlippen wurden abgeschnitten und an einem ungeheueren Haken aufgehängt; dann kamen die Zunge und andere Theile des Rachens daran, die zusammen über die Reling auf Deck befördert wurden, und hierauf der Theil des Maules, woran die Barten sitzen, deren niemals weniger als fünfhundert vorhanden sind.
Dieser Theil der Arbeit erforderte die meiste Zeit, denn um das letzte Stück des Kopfes zu gewinnen, mußte der sehr dicke und harte Knochen, der ihn mit dem Rumpfe verbindet, mühsam durchgesägt werden.
Uebrigens überwachte Meister Cabidoulin diese Arbeit als Sachverständiger, und auch die
Weitere Kostenlose Bücher