Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin
verschiedene an ihn gerichtete Scherzreden antwortete er heute:
»Wenn der »Saint Enoch« das Thier auch nicht zu sehen bekommt, bei seiner Fahrt ihm nicht begegnet, so ändert das doch an der Sache gar nichts. Die Kamtschadalen haben es gesehen, andere werden es noch sehen und wahrscheinlich meist zu ihrem Schaden. Ich glaube auch fest, daß wir selbst…
– Wann denn? fragte Meister Ollive.
– O, weit eher, als Du denkst, erklärte der Böttcher, und zu unserem Unglück…
– Eine Flasche Tafia, Alterchen, daß wir auch kein Schwanzendchen von Deiner Schlange zu Gesicht bekommen, ehe der »Saint Enoch« in Vancouver angelegt hat.
– Du kannst ebenso gut zwei oder drei… ja ein halbes Dutzend verwetten…
– Wieso denn?
– Weil Du sie niemals, weder in Victoria noch anderswo, zu bezahlen brauchst.«
Bei dem starrsinnigen Jean-Marie Cabidoulin bedeutete diese Antwort natürlich daß der »Saint Enoch« auf der jetzigen letzten Reise zu Grunde gehen werde.
Am Vormittage des 13. October verloren sich die beiden Fahrzeuge aus dem Gesicht. Schon seit vierundzwanzig Stunden verfolgten sie nicht mehr die gleiche Richtung, und der »Repton«, der sich dicht am Winde hielt, befand sich in etwas höherer Breite.
Die schöne Witterung dauerte ununterbrochen bei ruhigem Meere an. Der Wind stand abwechselnd aus Südwest und Nordwest, war also der Fahrt nach der Westküste Amerikas immer günstig. Nach seinen Beobachtungen befand sich Bourcart schon vierhundert Meilen von der Küste Asiens, also etwa auf dem Drittel der ganzen Reise.
Der Stille Ocean war vollständig leer, seit der englische Walfänger sich weiter nach Norden gewendet hatte. So weit der Blick reichte, zeigte sich nichts auf der ganzen Kreisfläche des Wassers, das kaum leicht gekräuselt dalag. Auch weit fliegende Vögel verirrten sich nicht bis auf diese Entfernung von der Küste. Hielt der Wind ferner in gleicher Weise an, so mußte der »Saint Enoch« bald die Alëuten in Sicht bekommen.
Hier muß noch erwähnt werden, daß an den nachgeschleppten Angelschnüren seit der Abreise kein einziger Fisch gefangen worden war. Alle Nahrung mußte also den Vorräthen des Schiffes entnommen werden. Gewöhnlich liefert der Fischfang in diesem Theile des Oceans einen reichlichen Ertrag. Zu Hunderten werden da Boniten, Meeraale, Rochen, Hundshaie, Brassen und Goldbrachse erbeutet. Die Schiffe gleiten da zuweilen durch richtige Schwärme von Haifischen, Meerschweinen, Delphinen und Schwertfischen dahin. – Jetzt – gewiß eine seltsame Beobachtung – schien es, als ob alle lebenden Wesen aus dieser Gegend entflohen wären.
Die Wachen meldeten freilich auch nicht das Erscheinen eines durch Gestalt und Größe auffallenden Thieres. Ein solches wäre den scharfen Augen Jean-Marie Cabidoulin’s gewiß nicht entgangen. Auf dem Bugspriet an dessen Spur (d. i. der Stelle, wo es auf dem Deck befestigt ist) sitzend und um besser sehen zu können, mit der Hand über den Augen, starrte der Böttcher hinaus und gab keinem, der ihn etwas fragte, Antwort. Was die Matrosen ihn zwischen den Zähnen murmeln hörten, das war nur für ihn selbst, nicht für andere bestimmt.
Am Nachmittage des 13., gegen drei Uhr, ertönte plötzlich, zum Erstaunen der Officiere und der Besatzung, vom Großmast herunter der Ruf:
»Walfisch hinter Steuerbord!«
Der Harpunier Durut hatte eine Cetacee seewärts vom »Saint Enoch« erblickt.
Und richtig, im Nordosten wiegte sich eine schwärzliche Masse auf der an-und abschwellenden Dünung.
Augenblicklich richteten sich alle Fernrohre darauf hin.
Doch hatte sich der Harpunier nicht etwa getäuscht?… Handelte es sich um einen Walfisch oder vielleicht um den Rumpf eines gescheiterten Schiffes? Von einer Seite zur anderen flogen Muthmaßungen über die Sache hin und her.
»Ja, es ist ein Walfisch, meinte der Lieutenant Allotte, und der liegt völlig still.
– Vielleicht, antwortete der Lieutenant Coquebert, ist er gerade im Begriff unterzutauchen.
– Wenn er nicht etwa schläft, bemerkte Heurtaux.
– Nun, jedenfalls müssen wir erfahren, um was es sich handelt, fuhr der Lieutenant Allotte fort, und wenn der Kapitän Befehl geben möchte…«
Bourcart antwortete nicht gleich, sondern beobachtete das Thier, mit dem Fernrohr vor den Augen, noch weiter.
Neben ihm und auf das Vorderkastell gelehnt, sah der Doctor Filhiol ebenso aufmerksam darauf hin und sagte endlich:
»Möglicherweise ist das ein todter Walfisch, wie wir deren
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