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Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin

Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin

Titel: Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Stunden seit der plötzlichen, überhasteten Heimkehr der Fischer verflossen, ohne daß die Ruhe der Bai gestört worden war. Die Angst der Bewohner von Petropawlowsk sollte sich aber noch lange nicht legen. Selbst der Winter, meinten sie, werde sie gegen einen Ueberfall des Ungeheuers nicht schützen, da sich die Bai von Avatcha nie mit Eis bedeckte. Doch wenn sie auch zufror, wäre der Flecken, da sich das Ungethüm auf dem Lande ebenso wie auf dem Wasser bewegen könnte, vor seinem Ueberfalle nicht sicher gewesen.
    Thatsächlich bemerkten die Mannschaften des »Saint Enoch« freilich gar nichts verdächtiges, und die des »Repton« sahen gewiß nicht mehr. Mit den Fernrohren wurden der Horizont und die Küste unausgesetzt nach allen Seiten abgesucht, doch nicht ein einziges Mal entdeckte man eine auffällige Bewegung des Wassers. Unter der Wirkung der Brise hob sich das Meer in sanfter Dünung, und auch auf der Seeseite waren kaum stärkere Wellen zu erkennen.
    Der »Saint Enoch« und sein Begleitschiff – wenn man dem anderen diesen Namen geben darf – trugen mit Backbordhalsen die oberen und die unteren Segel. Der Kapitän Bourcart befand sich dem Kapitän King gegenüber vor dem Winde, und dadurch, daß er um ein Viertel anlufen ließ, vergrößerte er bald die Entfernung zwischen den beiden Fahrzeugen.
    Außerhalb der Bai war das Meer gänzlich verlassen, keine Rauchsäule, kein Segel zeigte sich am Horizonte. Wahrscheinlich vergingen auch noch so manche Wochen, ehe sich die Fischer aus der Bai von Avatcha wieder hinauswagten. Und wer weiß, ob diese Gegend im Norden des Stillen Oceans den ganzen Winter hindurch überhaupt von einem Schiffe aufgesucht wurde
    Drei Tage verstrichen. Die Fahrt wurde durch kein bemerkenswerthes Ereigniß, durch keinen Unfall unterbrochen. Die Wachen auf dem »Saint Enoch« bemerkten nichts, was auf die Nähe des Oceansriesen hingedeutet hätte, vor dem es ganz Petropawlowsk so sehr bangte. Und doch hatten die Leute immer scharf Ausguck gehalten, drei Harpuniere auf den Marsen des Fock-, des Groß- und des Besanmastes.
    Doch wenn die große Seeschlange sich nirgends zeigte, hatte Bourcart ebensowenig Gelegenheit, seine Boote auszusenden, denn hier gab es weder Pottwale noch Walfische. Die Mannschaft war auch recht mißvergnügt, da sie sich sagen mußte, daß diese zweite Campagne so gut wie fruchtlos verlief.
    »Wahrhaftig, sagte Bourcart wiederholt, die Sache ist ganz unerklärlich! Hier liegt etwas zu Grunde, wovon man sich keine Rechenschaft geben kann! In der jetzigen Jahreszeit trifft man im Norden des Stillen Oceans Spritzwale gewöhnlich in großer Menge und jagt sie wohl bis Mitte November. Wir sehen dagegen keinen einzigen, und – so, als ob alle von ihnen entflohen wären – ebensowenig Walfänger wie Walfische.
    – Doch wenn die Cetaceen, bemerkte der Doctor Filhiol, nicht hier sind, so werden sie ja anderswo sein, denn ich meine, Sie werden nicht annehmen, daß diese Thierart plötzlich ganz verschwunden sei.
    – Wenn sie das Seeungeheuer nicht bis zum letzten aufgezehrt hat! antwortete der Lieutenant Allotte.
    – Auf mein Wort, fuhr der Doctor Filhiol fort, bei unserer Abfahrt aus Petropawlowsk glaubte ich schon verzweifelt wenig an die Existenz dieses außerordentlichen Thieres, und jetzt glaub’ ich gar nicht mehr daran. Die Fischer sind das Opfer einer Täuschung gewesen. Sie werden höchstens einen Achtfuß an der Wasserfläche gesehen haben und die Furcht hat ihnen diesen ins übermäßige vergrößert. Eine Seeschlange von dreihundert Fuß Länge, das ist eine Fabel, die man dem alten »Constitutionel« (diese Zeitung hatte früher völlig ernsthaft grausige Seeschlangengeschichten gebracht. D. Uebers.) mittheilen sollte.«
     

    Ein solches Thier wäre den scharfen Augen Jean-Marie Cabidoulin’s nicht entgangen. (S. 140.)
     
    Allgemein herrschte diese Ansicht an Bord des »Saint Enoch« freilich nicht. Die Leichtmatrosen und der größere Theil der Vollmatrosen lauschten den Worten des Böttchers, der nicht aufhörte, ihnen mit haarsträubenden Geschichten – wie der Zimmermann Ferut sagte – bange zu machen.
    Jean-Marie Cabidoulin änderte seine Anschauungen nicht, und seiner Ueberzeugung nach hatten die Fischer von Petropawlowsk keinen Irrthum begangen. Das Seeungeheuer war in der Wirklichkeit vorhanden, nicht nur in der Einbildung jener armen Leute. Der Böttcher brauchte zum Beweise dessen gar kein neues Zusammentreffen mit dem Unthiere, und auf

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