Die historischen Romane
beiden ist ein Dummkopf! Ich spreche von dem Buch, das wir heute bei Severin suchten. Ich habe es leider nicht erkannt, du aber hast es sehr wohl erkannt und hast es geholt, als wir weg waren...«
»Wie kommt Ihr darauf, dass ich es geholt habe?«
»Ich denke es, und du denkst es auch. Wo ist es?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Benno, wenn du es nicht sagst, spreche ich mit dem Abt darüber!«
»Genau das Verbot des Abtes hindert mich, es zu sagen«, erklärte Benno mit tugendhafter Miene. »Nachdem wir uns heute Mittag getrennt haben, ist etwas geschehen, das Ihr wissen müsst. Durch Berengars Tod war der Posten des Bibliothekarsgehilfen frei geworden. Heute Nachmittag hat Malachias mir diesen Posten angeboten. Gerade vor einer halben Stunde hat der Abt seine Zustimmung erteilt, und morgen früh werde ich, wie ich hoffe, in die Geheimnisse der Bibliothek eingeweiht! Ja, Bruder William, ich habe das Buch geholt. Ich hatte es unter der Matte in meiner Zelle versteckt, ohne es anzusehen, weil ich wusste, dass ich von Malachias beobachtet wurde. Nach einer Weile kam er und machte mir das besagte Angebot. Und da habe ich natürlich getan, was sich für einen Bibliothekarsgehilfen gehört: Ich habe ihm das Buch ausgehändigt...«
Ich konnte nicht an mich halten und ging erregt auf ihn los: »Aber Benno! Gestern und vorgestern hast du... habt Ihr noch gesagt, dass Ihr vor Wissbegier brennt und nicht wollt, dass die Bibliothek Geheimnisse hütet, statt sich den Forschern aus aller Welt zu öffnen!«
Benno schwieg errötend, doch William hielt mich zurück: »Adson, lass ihn, es hat keinen Zweck, seit ein paar Stunden ist Benno zur anderen Seite übergelaufen. Er ist jetzt selbst der Hüter jener Geheimnisse, die er so brennend erfahren wollte, und während er sie vor fremden Blicken verbirgt, hat er genügend Zeit, sie nach Herzenslust zu erforschen.«
»Aber was ist mit den anderen?« rief ich verblüfft. »Benno sprach doch im Namen aller Forschenden!«
»Vorher«, sagte William lakonisch und zog mich fort, um Benno seinen Gewissensbissen zu überlassen.
»Du musst begreifen«, erklärte mein Meister, »Benno ist einer großen Wollust zum Opfer gefallen, die von anderer Art ist als die Wollust Berengars und auch als die des Cellerars. Er frönt, wie viele Forscher es tun, der Lust am Wissen. Am Wissen um seiner selbst willen. Solange er zu einem Teil dieses Wissens keinen Zugang hatte, wollte er sich seiner fast um jeden Preis bemächtigen. Nun hat er sich seiner bemächtigt. Malachias kannte seinen Mann sehr genau und hat das beste Mittel benutzt, um das Buch zurückzubekommen und Bennos Lippen zu versiegeln. Du fragst jetzt vielleicht, wozu es gut sein soll, so große Wissensschätze zu hüten, wenn man nicht bereit ist, sie auch den anderen Forschenden zur Verfügung zu stellen. Doch eben darum sprach ich von Wollust. Von Wollust, Adson, die etwas anderes ist als der Erkenntnisdrang eines Roger Bacon, der die Wissenschaft in den Dienst der Menschen zu stellen trachtete und daher nicht nach Erkenntnis um ihrer selbst willen strebte. Bennos Wissensdurst ist bloß eine unstillbare Neugier, Hoffart des Geistes, eine von mehreren Arten für einen Mönch, die Gelüste seiner Lenden zu stillen in verwandelter Form, oder auch die Glut, die einen anderen zum Glaubenskämpfer macht, oder zum Ketzer. Es gibt nicht nur Wollust des Fleisches, Adson. Wollust ist auch, was Bernard empfindet, überzogene Lust an der Gerechtigkeit, die sich bei ihm mit Machtlust paart. Wollust am Reichtum empfindet unser heiliger und nicht mehr römischer Pontifex. Wollust am Zeugnisablegen, am Wandel, an Buße und Tod empfand Remigius in seiner Jugend. Und Wollust am Bücherlesen empfindet Benno. Sie ist wie alle Wollust – wie die des Onan, der seinen Samen zu Boden fallen ließ – eine sterile Lust, die nichts mit der Liebe zu tun hat, nicht einmal mit der fleischlichen...«
»Ich weiß«, entfuhr es mir unwillkürlich. William überhörte es, fuhr aber fort: »Wahre Liebe sucht das Wohl des geliebten Wesens.«
»Aber könnte es nicht sein, dass Benno durchaus das Wohl seiner Bücher sucht (denn nun sind es auch die seinen) und meint, ihr Wohl bestehe darin, vor raffgierigen Händen geschützt zu werden?« gab ich zu bedenken.
»Das Wohl eines Buches besteht darin, gelesen zu werden. Bücher sind aus Zeichen gemacht, die von anderen Zeichen reden, die ihrerseits von den wirklichen Dingen reden. Ohne ein Auge, das sie liest,
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