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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Abwegiges zu sagen. »Lodi?! Lodi?!« brüllte der Rotbart, nun auch im Gesicht so rot, dass es aussah, als werde ihn gleich der Schlag treffen. »Wenn ich den Nachrichten glauben darf, die ich bekomme, hat Lodi bereits an ihren Treffen teilgenommen! Ich reiße mir das Herz aus dem Leibe, um diese Elenden zu beschützen, die ohne mich von den Mailändern alle paar Monate plattgemacht würden bis auf die Grundmauern, und jetzt machen sie gemeinsame Sache mit ihren Henkern und verschwören sich gegen ihren Wohltäter!«
    »Lieber Vater«, fragte Baudolino, »was heißt dieses ›Wenn ich glauben darf‹ und ›Wie es scheint‹? Hast du keine sicheren Nachrichten?«
    »Ja habt ihr Studenten in Paris den Sinn dafür verloren, wie die Dinge laufen in dieser Welt? Wenn es eine Liga gibt, dann gibt es eine Verschwörung, und wenn es eine Verschwörung gibt, dann haben die, die es vorher mit dir hielten, dich verraten und erzählen dir genau das Gegenteil dessen, was sie treiben, und so erfährt der Kaiser als letzter, was vorgeht, genau wie jene Ehemänner, die eine untreue Frau haben, über deren Untreue alle Bescheid wissen außer ihnen selbst!«
    Er hätte kein schlechteres Beispiel wählen können, denn genau in dem Augenblick kam Beatrix herein, die von der Ankunft des lieben Baudolino gehört hatte. Baudolino kniete nieder, um ihr die Hand zu küssen, ohne ihr in die Augen zu sehen. Beatrix zögerte einen Moment. Vielleicht meinte sie, wenn sie keine Zeichen der Vertrautheit und Zuneigung gäbe, würde sie ihre Verlegenheit verraten; daher legte sie ihm die andere Hand mütterlich auf den Kopf und kraulte ihm ein bisschen im Haar – wobei sie ganz vergaß, dass eine Frau von Anfang Dreißig einen erwachsenen, nur wenige Jahre jüngeren Mann nicht mehr so behandeln konnte. In Friedrichs Augen war ihr Verhalten jedoch ganz normal: er Vater, sie Mutter, wenn auch beide nur Adoptiveltern. Wer sich fehl am Platze fühlte, war Baudolino. Diese zweifache Berührung, die Nähe ihrer Person, der Duft ihres Kleides, als wäre es der ihrer Haut, der Klang ihrer Stimme – und welch ein Glück, dass er ihr in dieser Haltung nicht in die Augen sehen konnte –, all dies erfüllte ihn mit einem unsäglichen Entzücken, das allerdings beeinträchtigt wurde durch das Gefühl, mit dieser schlichten Huldigungsgeste ein weiteres Mal seinen Stiefvater zu verraten.
    Er hätte nicht gewusst, wie er sich verabschieden sollte, hätte der Kaiser ihn nicht um einen Gefallen gebeten oder ihm einen Befehl erteilt, was auf dasselbe hinauslief. Um in den italienischen Dingen klarer zu sehen und sich dabei weder auf seine offiziellen Gesandten noch auf seine extra gesandten Offiziellen verlassen zu müssen, hatte er beschlossen, einige wenige Männer seines Vertrauens hinzuschicken, die das Land kannten, aber nicht sofort als Kaiserliche erkannt werden würden, auf dass sie die Atmosphäre erkundeten und glaubwürdige, nicht durch Verrat verfälschte Zeugnisse sammelten.
    Baudolino gefiel die Vorstellung, auf diese Weise der Verlegenheit zu entgehen, die er am Hofe empfand, aber gleich darauf überkam ihn ein anderes Gefühl: Er verspürte eine tiefe Erregung bei dem Gedanken, seine heimatlichen Orte wiederzusehen, und begriff endlich, dass er sich deswegen auf die Reise gemacht hatte.
     
    Nachdem er durch mehrere Städte gekommen war, gelangte er eines Tages munter fürbass reitend, oder besser gesagt gemächlich auf einem Muli dahinzockelnd, denn er gab sich als Händler aus, der friedlich über die Dörfer zog, auf jene Höhen, hinter welchen er nach einem guten Stück Ebene den Tanaro würde durchwaten müssen, um zwischen Karstland und Sümpfen die heimische Frascheta zu erreichen.
    Obwohl man damals, wenn man von zu Hause fortging, wirklich fortging, ohne die Absicht, jemals wiederzukommen, spürte Baudolino in diesem Augenblick ein Kribbeln in seinen Adern, denn plötzlich packte ihn der dringende Wunsch, zu wissen, ob seine Eltern noch lebten.
    Nicht nur seine Eltern, denn unwillkürlich standen ihm auch Jungen aus der Umgebung vor Augen, der Masulu von den Panizzas, mit dem er Fallen für wilde Kaninchen aufgestellt hatte, der Porcelli, genannt il Ghino (oder war es der Ghini, genannt il Porcello?), den sie, kaum dass sie ihn sahen, immer mit Steinen beworfen hatten und er zurück, der Aleramo Scaccabarozzi, genannt il Ciula, und der Cuttica aus Quargnento, mit denen er immer in der Bormida geangelt hatte. »Herr«, dachte er bei sich,

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