Die historischen Romane
sie schon das Zimmer verlassen wollten, in dem nichts Dramatisches mehr passiert zu sein schien, hatte Kyot einen Blick in den Schrein geworfen und festgestellt, dass der Gradal nicht mehr da war. Als ich mit Abdul eintraf, waren sie gerade alle dabei, sich gegenseitig zu beschuldigen und einander abwechselnd Diebstahl oder Achtlosigkeit vorzuwerfen, letzteres in der Annahme, Ardzrouni könnte, während wir im Hof waren, in das Zimmer eingedrungen sein. Aber nein, sagte Kyot, ich hatte mitgeholfen, den Kaiser in den Hof zu bringen, aber dann bin ich gleich wieder rauf, um aufzupassen, dass niemand reinkam, und in der kurzen Zwischenzeit hätte Ardzrouni nicht heraufkommen können. Also hast du den Gradal genommen, ereiferte sich Boron und packte Kyot an der Gurgel. Nein, schrie Kyot zurück, eher bist du's gewesen, während ich am Fenster war, um die vor dem Kamin zusammengekehrte Asche hinauszuwerfen! Ruhe, Ruhe, rief der Poet dazwischen, sagt mir lieber, wo war eigentlich Zosimos, während wir unten im Hof waren? Ich war bei euch, und mit euch bin ich auch wieder raufgegangen, beteuerte Zosimos, und Rabbi Solomon bestätigte es. Eins war sicher, jemand hatte den Gradal genommen, und von da aus war es nicht weit zu der Annahme, dass dieser Jemand derselbe war, der Friedrich auf irgendeine Weise umgebracht hatte. Vergebens gab der Poet zu bedenken, dass Friedrich auch von allein gestorben sein könnte und dass dann einer von uns die Verwirrung genutzt haben könnte, um sich den Gradal zu nehmen, keiner glaubte ihm mehr. Freunde, versuchte uns Rabbi Solomon zu beschwichtigen, die menschliche Tollheit hat, angefangen mit Kain, die schlimmsten Verbrechen ersonnen, aber kein menschliches Hirn war je so verdreht, sich einen Mord in einem geschlossenen Raum auszudenken. – Freunde, sagte dagegen Boron, als wir hier reinkamen, war der Gradal noch da, und jetzt ist er nicht mehr da. Also hat ihn einer von uns. – Natürlich verlangte daraufhin jeder, dass sein Reisegepäck durchsucht wurde, aber da lachte der Poet nur höhnisch und sagte, wenn jemand den Gradal genommen habe, dann habe er ihn an einem sicheren Ort in der Burg versteckt, um ihn später zu holen. Lösung? Wenn Friedrich von Schwaben nichts dagegen habe, würden alle gemeinsam zum Reich des Priesters Johannes aufbrechen, und niemand dürfte zurückbleiben, um sich den Gradal zu holen. Ich sagte, das sei eine schreckliche Vorstellung, wir würden eine gefahrvolle Expedition unternehmen, bei der jeder sich auf die Hilfe der anderen verlassen müsste, und jeder (außer einem) würde alle anderen verdächtigen, Friedrichs Mörder zu sein. Der Poet erwiderte, entweder gehe es so oder gar nicht, und er hatte verdammt recht. Wir würden zu einem der größten Abenteuer aufbrechen, das je von guten Christen ins Auge gefasst worden wäre, und jeder würde jedem misstrauen.«
»Und seid ihr aufgebrochen?« fragte Niketas.
»Nicht von einem Tag auf den anderen, das hätte wie eine Flucht ausgesehen. Der ganze Hof war ständig versammelt, um über den Fortgang der Expedition zu entscheiden. Das Heer war dabei sich aufzulösen, viele wollten auf dem Seeweg nach Hause, andere wollten sich nach Antiochia einschiffen, wieder andere nach Tripolis. Schließlich entschied sich der junge Friedrich, auf dem Landweg weiterzuziehen. Dann wurde diskutiert, was mit Friedrichs Leichnam geschehen sollte, einige schlugen vor, sofort die Eingeweide zu entfernen, die am schnellsten verwesen, und ihn dann möglichst bald zu begraben, andere wollten warten bis zur Ankunft in Tarsos, der Geburtsstadt des Apostels Paulus. Aber der Leichnam konnte auch ohne die Eingeweide nicht lange konserviert werden, früher oder später würde man gezwungen sein, ihn in einer Mischung aus Wasser und Wein so lange kochen zu lassen, bis sich alles Fleisch von den Knochen gelöst haben würde und an Ort und Stelle begraben werden könnte, um den Rest dann später in Jerusalem beizusetzen, sobald man es wieder erobert hatte. Aber ich wusste, dass man die Leiche vor dem Kochen würde zergliedern müssen, und an diesem Gemetzel wollte ich nicht teilnehmen.«
»Ich habe sagen hören, niemand wisse, was mit diesen Gebeinen geschehen ist.«
»Das habe ich auch gehört, ach mein armer Vater! Kaum waren sie in Palästina angelangt, ist dann auch der junge Friedrich gestorben, verzehrt von seinem Leid und von den Strapazen der Reise. Im übrigen sind auch Richard Löwenherz und Philipp August nie in Jerusalem
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