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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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ab. Stattdessen schlug er den Weg nach St. Gabriel ein.
    Vierbusch und sein Küster befanden sich in der Sakristei, wo sie die schweren silbernen Leuchter mit neuen Altarkerzen bestückten. Sie waren so in ihre Aufgabe vertieft, dass sie Lapidius’ Eintreten gar nicht bemerkten. »Die Honigkerzen stehen immer noch nicht gerade, Jakobs. Habt Ihr denn keine Augen im Kopf?« Die Stimme des Pfarrers, sonst salbungsvoll und fromm, klang ungeduldig. »Tretet drei Schritte zurück, dann seht Ihr es!«
    Lapidius räusperte sich.
    »Oh, der Magister! Gott zum Gruße, was führt Euch in mein bescheidenes Haus? Gewiss der Wunsch nach stiller Zwiesprache mit Eurem Schöpfer?« Vierbuschs Ton war wieder der gewohnte.
    Lapidius geriet in Verlegenheit. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. »Nun, äh … um offen zu sein, wollte ich Eure Hilfe erbitten. Ich suche einen Mann, einen hinkenden Mann. Wahrscheinlich ist er aus Kirchrode.«
    Der Pfarrer runzelte die Brauen. »Kennt Ihr seinen Namen nicht?«
    »Leider nein.«
    »Wisst Ihr sonst etwas über ihn?«
    »Lasst mich überlegen … der Mann dürfte im besten Alter stehen und so gesund sein, dass er trotz seines Hinkens weite Strecken gehen kann.«
    »Ein ungewöhnlicher Wunsch. Ich gestehe, die Neugier regt sich in mir, aber Ihr wollt mir wohl nicht sagen, was dahinter steckt?«
    »Ganz recht. Nur so viel: Wenn ich den Mann finde und das erreiche, was ich will, habe ich ein gottgefälliges Werk getan.«
    »So muss ich Euch natürlich helfen.« Vierbusch winkte den Küster, der die ganze Zeit versucht hatte, die Kerzen zu richten, zu sich heran. »Jakobs, holt mir die Sterbebücher. Bringt sie hinüber zum großen Altar, darauf ist Platz genug, sie aufzuschlagen.«
    Während Vierbusch seine Hand unter Lapidius’ Arm schob und mit ihm die Sakristei verließ, erklärte er: »Die Sterbebücher könnten genauso gut Geburtenbücher heißen oder Taufbücher oder Hochzeitsbücher, denn alle diese Ereignisse sind darin festgehalten.«
    »Auch Missbildungen oder sonstige Auffälligkeiten?«
    »Nicht immer, aber meistens. Wir sind alle nur Menschen, und wo Menschen etwas verrichten, schleichen sich Fehler ein. Ah, da seid Ihr ja schon, Jakobs. Danke, Ihr könnt jetzt bei den Kerzen weitermachen. Nun, Magister Lapidius, ich fürchte, ich habe nicht die Muße, Euch Einblick in sämtliche Sterbebücher zu gewähren, die vielen Pflichten …« Vierbusch schaute angelegentlich auf den Opferstock.
    Lapidius verstand und warf ein paar Münzen hinein. Es klimperte geräuschvoll.
    »Nun, fangen wir immerhin an. Niemand soll mich mangelnder Hilfsbereitschaft zeihen.«
    Die nun folgende Suche zog sich über geraume Zeit hin, wie das Stundenglöckchen im Turm über ihnen anzeigte. Am Ende waren es dreizehn Männer, hinter deren Namen und Geburtsdatum nicht gesund stand, sondern ein entsprechender Vermerk zu finden war. Linker Fuß verkrüpp. hieß es da beispielsweise oder Zehen d. rechten Fußes zusammengew. oder einfach nur kurz Klumpfuß rechts.
    »Ich denke, wir können alle, die das rechte Bein nach sich ziehen oder dort eine Missbildung haben, ausschließen«, sagte Lapidius, der sich noch einmal das Spurenbild vor Augen geführt hatte. »Der Mann hinkt links.«
    »So sei es«, stimmte der Gottesmann zu, »aber habt Ihr eigentlich daran gedacht, dass es auch Hinkende gibt, die nicht als solche das Licht der Welt erblickten, will sagen, die sich erst später die Behinderung zuzogen, durch einen Unfall oder Ähnliches? Derlei Strafen durch Gott den Allmächtigen sind hier natürlich nicht festgehalten.«
    »Ja, das habe ich. Aber das Risiko muss ich eingehen. Ich kann nicht die ganze Stadt nach j edem Hinkenden durchkämmen.«
    »Das verstehe ich.« Vierbusch klappte zwei der Bücher zu. »Dann bleiben aber immer noch sieben Männer, die in Frage kommen.« Er nannte die Namen, überlegte kurz und verbesserte sich dann: »Das heißt, Reinhard Grote können wir ebenfalls streichen, er ist mit Bluthusten ans Bett gefesselt, wohl schon ein halbes Jahr. Friedrich Leiendecker ist neunundsechzig Jahre alt und verlässt seine Wohnung so gut wie nie; er scheidet deshalb auch aus, genauso wie Adalbert Kuntz, der, wie ich weiß, seit Jahren nicht mehr in Kirchrode wohnt. Man sagt, er sei mit Weib und Kind in den Kölner Raum gezogen. Allerdings, es bleiben noch immer vier.«
    »Ja«, sagte Lapidius, dem beim Letztgenannten ein Gedanke gekommen war. »Sind alle Verbliebenen verheiratet?«
    Vierbusch

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