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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Aphrodisiaka für die Reichen Kirchrodes herstellte, der in der Lage war, Rauschtränke unter Zuhilfenahme von Bilsenkraut zu brauen – ausgerechnet der hatte einer der Zeuginnen seinen Wagen geliehen. War das Zufall? Oder steckte mehr dahinter?
    Lapidius fing sich wieder und spann seinen Gesprächsfaden fort. »Als ehrenwerter Bürger der Stadt interessiert mich natürlich, wer die Hexenmorde in Wahrheit auf dem Gewissen hat. Nach meiner These ist der Schlossermeister Tauflieb besonders verdächtig. Er und sein Hilfsmann Gorm. Sowie der von Euch eben genannte Apotheker Veith.«
    »Aha.« Krabiehl wurde einsilbig.
    »Noch verdächtiger sind für mich allerdings die Witwen Koechlin und Drusweiler. Man hat sie vorgeschickt, um die Säckler zu verleumden und zu vernichten. Hinter ihnen stehen die wahren Mörder. Ich spreche absichtlich in der Mehrzahl, denn es sind drei, die gemeuchelt haben. Drei Männer. Ich bin sicher, die Koechlin und die Drusweiler und alle, die mit ihnen in Verbindung stehen, werden ihrer gerechten Strafe nicht entgehen.«
    Der Büttel schwieg, obwohl Lapidius’ letzte Worte einer Drohung gleichkamen.
    »Nun, das wars, Krabiehl, ich wünsche Euch noch einen guten Tag.« Lapidius stand auf und verließ den Dienstraum. Er war einigermaßen beruhigt. Tauflieb mochte nun kommen und brühwarm über das gestrige Gespräch berichten, er würde nicht viel erreichen. Krabiehl würde sich genau überlegen, ob er etwas unternahm, denn er wusste jetzt: Wenn er Lapidius in Schwierigkeiten brachte, würde er selbst auch welche bekommen.
    Und das nicht zu knapp. Freyja lag in der Hitzkammer und spürte, dass sich etwas verändert hatte. Die Geräusche waren anders. Leiser. Entfernter. Für eine Weile lauschte sie angestrengt, dann wusste sie es: Marthes Küchenlaute fehlten, das Klappern der Töpfe, das Scheppern der Pfannen, das Brodeln von kochendem Wasser. Ebenso Lapidius’ Schritte im Laboratorium, dazu die Stimmen der beiden, immer dann, wenn sie ein Wort miteinander wechselten.
    Marthe hatte gestern Abend noch einmal nach ihr gesehen, und Freyja war enttäuscht gewesen, dass es nicht Lapidius war. Er hatte ihr durch den Sprechschacht versprochen, zu kommen. Doch sie hatte vergebens gewartet.
    Nun war sie ganz allein im Haus. Angst kroch in ihr hoch. Sie dachte an den Tag des Überfalls, als johlender Pöbel durch die Stockwerke gerannt war, als man sie Hexe gescholten hatte, als man ihrer habhaft werden und sie stechen wollte, als sie sich nur mit letzter Kraft ins Gebälk hatte retten können. Das würde sie nun nicht mehr schaffen. Sie war schwach und hilflos wie ein Neugeborenes.
    Sie hasste es, Angst zu haben. Gegen das Gefühl ankämpfend, sagte sie sich, dass es ihr etwas besser ging. Marthe hatte ihr die allerletzten Tropfen aus dem braunen Fläschchen gegeben, und es waren nicht nur zehn, sondern siebzehn gewesen. Sie hatte genau mitgezählt. Die wunderbaren Tropfen. Laudanum war ihr Name. Diesmal hielt ihre Wirkung besonders lange an.
    Warum war Lapidius gestern Abend nicht gekommen? Er hatte es doch versprochen? Lapidius. Er gab sich so viel Mühe, ihre Unschuld zu beweisen. Tagtäglich war er deswegen unterwegs, und sie ahnte: Nicht nur das eine Mal, als sein Haus gestürmt wurde, hatte er sich in Lebensgefahr befunden. Warum tat er das alles für sie? Gut, er hatte ihr die Erklärung gegeben, er selbst habe sich einst in ähnlicher Lage befunden und einem Mann namens Conradus Magnus versprochen, er wolle die barmherzige Pflege, die ihm widerfahren war, an einem anderen Menschen wieder gutmachen. Aber das erklärte noch lange nicht, warum er sich so sehr dafür einsetzte, sie vom Vorwurf der Hexerei reinzuwaschen. Was er wohl herausgefunden hatte? Ab und zu machte er eine Andeutung, aber Genaues sagte er ihr nie. Wahrscheinlich wollte er sie nicht unnötig ängstigen. Wie ritterlich von ihm! Dabei hätte er ihr alles sagen können; sie hätte seine Sorgen und Nöte mit ihm geteilt. Gerne sogar. Schließlich waren es auch ihre Sorgen und Nöte, und Unbill ertrug sich gemeinsam viel leichter.
    Freyjas Angst hatte etwas nachgelassen. Nur noch zwei Tage musste sie aushalten, dann waren die zwanzig voll. Dann durfte sie die Hitzkammer verlassen. Ein zwiespältiges Gefühl beschlich sie, wenn sie daran dachte. Unzählige Male hatte sie ihr Gefängnis verflucht, hatte die Dunkelheit gehasst, die Einsamkeit, die Enge, und doch hatte die Abseite ihr so etwas wie Geborgenheit geschenkt – Schutz gegen

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