Die Hochlandhexe Ein Kind der Sünde (German Edition)
weil sie dort, wie es hieß, noch immer säße, wie sie einst gepflegt.
Andere, die nicht von Aberglauben beherrscht waren, meinten, wenn man die Tiefe des Corrie Dhu, den Boden des Sees oder die Strudel des Stromes absuchen könnte, würde man vielleicht Elspats Leiche finden. Bei ihrer körperlichen Schwäche und ihrem geistigen Verfall sei es ja nur natürlich, daß sie verunglückt wäre oder sich mit der Absicht, den Tod zu finden, ins Wasser gestürzt habe.
Der Geistliche hatte seine Auslegung für sich. Er meinte, die Unglückliche habe der ihr lästigen Aufsicht entkommen wollen, geleitet von dem Instinkt, den man an manchen Haustieren beobachtet, dem Anblick ihres Geschlechts sich zu entziehen, und sie sei in irgend einer verborgenen Schlucht umgekommen, wo aller Wahrscheinlichkeit nach keines Menschen Auge je ihre Leiche zu sehen bekommen würde. Er war der Ansicht, daß ein solcher instinktartiger Trieb über ihrem ganzen Leben gewaltet und seinen genügenden Einfluß bis zu ihrem
Ende.
Ein Kind der Sünde.
Erstes Kapitel.
Gideon Gray führte im Flecken Middlemas in einer Grafschaft des mittleren Schottlands das mühevolle, arbeitsreiche und schlecht lohnende Leben eines schottischen Arztes, ein schlichter derber Mann, abgeneigt jedem Zwang und jeder Förmlichkeit, wie sie in der gebildeten Gesellschaft nun einmal doch im Schwange sind.
Doktor Gray war anspruchslos und hatte sein Auskommen in seiner Praxis, die ihm etwa 200 Pfd. jährlich eintrug. Dafür hatte er im Laufe eines Jahres durchschnittlich 5000 englische Meilen zu Pferde zurückzulegen. So sattsam aber nährte ihn sein Einkommen, daß er sich entschloß, es mit einem Mädchen zu teilen. Er heiratete die rotwangige Tochter eines ehrsamen Pächters, Johanna Watson, die aus einer Familie von zwölf Kindern war und, bei dem kärglichen Einkommen ihres Vaters von 80 Pfd. jährlich an ein bescheidenes Leben gewöhnt, sich nicht gut denken konnte, daß bei zwei Leuten, die das Doppelte zu verzehren hatten, jemals die Armut einkehren könnte. Obwohl nun Gray von der spottlustigen Jugend der alte Doktor genannt wurde, sah das Mädchen ihn doch für eine sehr vorteilhafte Partie an.
Mehrere Jahre hindurch war die Ehe kinderlos, und es hatte auch den Anschein, als ob Doktor Gray, so oft er auch im Dienste der Göttin Lucina[Beiname der römischen Göttin Juno als Göttin der Geburt] tätig gewesen war, in seinem Hause doch niemals die gleiche Tätigkeit entfalten sollte.
Das Schicksal aber wollte es, daß sein Haus unter merkwürdigen, abenteuerlichen Umständen der Schauplatz einer Geburt werden sollte.
Eines Tages kam eine Kutsche mit vier Pferden vor der Haustür vorgefahren. Zwei Personen waren darin. Ein Herr im Reitanzug sprang heraus und eröffnete dem Doktor, daß er eine Dame von hohem Stande bei ihm unterzubringen wünsche, da er den Gasthof zum Schwanen zur Aufnahme einer Frau bei solchem Anlaß nicht für geeignet halte.
Der Doktor gab dem Herrn die Versicherung, daß die Dame in seinem Hause gut aufgehoben sein werde. Der Fremde half dann der Dame zum Wagen heraus und äußerte hohe Zufriedenheit, als er die Dame in einem bequemen Schlafgemach untergebracht und der Obhut des Arztes und seiner Gattin anvertraut sah. Er händigte dem Doktor zwanzig Guineen ein mit dem Ersuchen, er möge keine Kosten scheuen und alles Erforderliche und Wünschenswerte beschaffen. Er erklärte dann, daß er sich in dem Gasthofe einquartieren werde und dort Nachricht über das Befinden der Dame erwarte.
»Sie ist fremd hier und von hohem Stande,« sagte er, »ich bitte daher, es ihr an nichts fehlen zu lassen. Wir wollten bis Edinburgh, aber ein Zufall hat uns genötigt, vom Wege abzubiegen. Noch einmal, spart keine Kosten und behandelt sie recht verständig, daß sie sobald wie möglich weiterreisen kann.«
»Das liegt nicht in meiner Macht,« sagte der Doktor, »bei solchem Anlaß darf nichts übereilt werden, jeder derartige Versuch rächt sich.«
»Die Geschicklichkeit aber vermag viel«, versetzte der Fremde.
Und er reichte dem Arzte eine zweite Börse, die ebenso schwer zu sein schien wie die erste.
»Geschicklichkeit und Kunst,« antwortete der Doktor, »kann wohl belohnt, doch nicht erkauft werden. Ihr habt mir schon genug gezahlt, so daß ich für alles Sorge tragen kann, wessen die Dame nur irgend bedürfen mag. Wollte ich mehr annehmen, so würde ich damit stillschweigend das Versprechen eingehen, etwas zu leisten, was über meine Kräfte
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