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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Prinzessin in der Farbe
frisch gefallenen Schnees, in reinem Weiß, als Märtyrerin. Als die
Sänfte vor der Tür stand, war sie bereit: Elisabeth kannte keinen
Aufschub, wenn es Menschenmengen zu begrüßen galt.
    »Ihr solltet besser die Vorhänge zuziehen«, mahnte Lord Howard
brüsk.
    »Lasst sie offen«, gab sie zurück. »Die Menschen dürfen mich
ruhig sehen. Dann verstehen sie, wie mir zumute ist, weil ich aus
meinem Haus gejagt wurde und eine zweiwöchige Reise durch Eis und
Schnee auf mich nehmen musste.«
    »Zehn Tage«, hielt er barsch dagegen. »Und wir hätten es in
fünf schaffen können.«
    Sie geruhte nicht zu antworten, sondern ließ sich in die
Kissen zurücksinken und hob die Hand zum Zeichen, dass man aufbrechen
könne. Ich hörte Lord Howard unterdrückt fluchen, dann schwang er sich
in den Sattel. Ich lenkte mein Pferd hinter die Sänfte, und unsere
kleine Kavalkade trabte von dem Gutshof auf die Straße nach London.
    London war vom Gestank des Todes erfüllt. An
jeder Straßenecke waren Galgen errichtet worden, deren schreckliche
Lasten von den Querbalken baumelten. Die Toten sahen furchtbar aus:
Gesichter wie Wasserspeier, gefletschte Zähne, hervorquellende,
glotzende Augen. Je nachdem, wie der Wind stand, wehte der
Leichengestank über die Straße. Die Leichen schaukelten vor und zurück,
ihre Umhänge bauschten sich, als lebten sie noch, und strampelten
verzweifelt mit den Beinen.
    Elisabeth hielt die Augen starr geradeaus gerichtet und
schaute weder nach rechts noch nach links, doch an jeder Ecke spürte
sie die Präsenz der baumelnden Gehängten – kannte sie doch die
Hälfte von ihnen. Alle waren gestorben, weil sie sich an einer
Rebellion beteiligt hatten, deren Anführerin nach Meinung der meisten
Elisabeth gewesen war. Als sie in die Sänfte gestiegen war, war sie so
weiß wie ihr Gewand, doch als wir in die King's Street einritten, hatte
ihr Gesicht bereits die Farbe entrahmter Milch angenommen.
    Nur wenige riefen ihr »Gott schütze Euer Gnaden!«, zu.
Elisabeth besann sich und hob eine schwache Hand, um die Menschen mit
Mitleid erregender Miene zu grüßen. Sie machte den Eindruck einer
Märtyrerin, die aufs Schafott gezerrt wurde. Niemand konnte indes unter
dieser Unzahl von Galgen an ihrer Angst zweifeln. Es war Elisabeths
Rebellion gewesen, und fünfundvierzig Gehängte bezeugten, dass sie
gescheitert war. Nun musste auch Elisabeth sich dem Gericht stellen,
das ihre Mitverschwörer dem Tode überantwortet hatte. Es bestand kein
Zweifel, dass sie sterben würde.
    Schon von fern sahen die Torwachen von Whitehall unsere
Kavalkade und stießen die Tore auf. Elisabeth richtete sich in ihrer
Sänfte auf und blickte voller Angst auf die mächtige Treppe des
Palastes. Königin Maria war nicht erschienen, um ihre Schwester zu
begrüßen, und auch sonst ließ sich kein Mitglied des Hofstaates sehen.
Der nicht vorhandene Empfang wirkte wie ein stummer Vorwurf. Ein
einziger herrschaftlicher Diener erwartete sie auf der Treppe. Er
wandte sich an Lord Howard, nicht an die Prinzessin.
    Der Lord trat an die Sänfte und streckte der Prinzessin seine
Hand hin.
    »Eine Wohnung ist für Euch bereitgemacht worden«, sagte er
kurz. »Ihr dürft zwei Dienerinnen mit Euch nehmen.«
    »Meine Hofdamen müssen mit mir kommen«, wandte sie sogleich
ein. »Ich fühle mich nicht wohl.«
    »Der Befehl lautet, zwei Bedienstete, nicht mehr«, wiederholte
er knapp. »Wählt.«
    Die Kälte, derer er sich während der Reise befleißigt hatte,
war nun zusätzlich mit Stacheln versehen. Wir waren in London, und
hundert Augen und Ohren waren auf den Lord gerichtet. Er würde peinlich
genau darauf achten, dass niemand behaupten könnte, er habe seiner
Cousine, der Verräterin, Freundlichkeit gezeigt. »Wählt.«
    »Mrs. Ashley und …« Elisabeth sah sich suchend um,
dann fiel ihr Blick auf mich. Erschrocken trat ich einen Schritt
zurück – wie jeder Wendehals war ich bemüht, nicht mit dieser
dem Untergang geweihten Prinzessin in Verbindung gebracht zu werden.
Doch Elisabeth wusste genau, dass sie durch mich eine Chance hatte, die
Königin zu erreichen. »Mrs. Ashley und Hannah die Närrin«, bestimmte
sie.
    Lord Howard lachte. »Drei Narren also«, brummte er und
bedeutete den Gentlemen, uns den Weg zu Elisabeths Gemächern zu zeigen.
    Ich blieb nicht bei Elisabeth, sondern
machte mich auf die Suche nach Will Somers. Er döste auf einer der
Bänke in der großen Halle. Jemand hatte ihm fürsorglich einen

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