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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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in Tränen ausbrechen. »Musst du denn gehen, Hannah?«, fragte
sie verzagt.
    »Ich muss«, erwiderte ich. »Mein Vater ist krank, er leidet an
einem Fieber. Ich muss zu ihm.«
    Die Prinzessin wandte sich ab und wischte sich mit dem
Handrücken die Augen. »Meine Güte, ich benehme mich ja wie ein Kind,
das sein Kindermädchen verliert!«
    »Was bedrückt Euch?«, fragte ich. Ich hatte sie niemals so
niedergeschlagen erlebt. Selbst als sie krank und verschwollen im Bett
gelegen hatte, hatten ihre Augen noch listig geblitzt. »Was ist mit
Euch?«
    »Ich bin vor Angst zu Eis erstarrt«, erwiderte Elisabeth. »Ich
sage dir, Hannah, wenn Angst aus Kälte und Dunkelheit gemacht ist, dann
lebe ich in den Weiten Sibiriens. Ich sehe keinen Menschen, nur beim
Verhör, und niemand berührt mich, außer um mich zur Befragung in
Positur zu stellen. Niemand schenkt mir ein Lächeln, alle starren mich
an, als wollten sie mir auf den Grund des Herzens blicken. Meine
einzigen Freunde auf dieser Welt sind verbannt, in den Kerker geworfen
oder geköpft worden. Ich bin erst zwanzig Jahre alt, und niemand liebt
mich oder kümmert sich um mich. Ich bin noch eine junge Frau, aber ich
genieße weder Liebe noch Fürsorge. Niemand kommt mir nahe außer Kat und
dir, und nun redest auch du davon, mich zu verlassen.«
    »Ich muss meinen Vater besuchen«, beharrte ich. »Doch ich
komme zurück, sobald er gesund ist.«
    Das Gesicht, das sie mir nun zuwandte, war nicht das der
trotzigen Prinzessin, der gehassten protestantischen Feindin an diesem
verschworenen katholischen Hof. Es war das Gesicht einer jungen Frau,
die weder Vater noch Mutter noch Freunde besaß, einer jungen Frau, die
um den Mut rang, demnächst ihrem sicheren Tod ins Auge zu blicken. »Du
wirst doch zurückkommen, Hannah? Ich habe mich so an dich gewöhnt. Und
ich habe keine Vertraute außer dir und Kat. Ich bitte dich als
Freundin, nicht als Prinzessin: Wirst du zurückkommen?«
    »Ja«, versprach ich. Ich nahm ihre Hand. Sie hatte nicht
übertrieben: Ihre Hand war kalt, ja eisig, als wäre sie bereits tot.
»Ich verspreche Euch, dass ich zurückkomme.«
    Ihre klammen Finger erwiderten meinen Händedruck. »Vielleicht
hältst du mich für einen Feigling. Aber ich schwöre dir, Hannah, ich
verliere allen Mut, wenn ich kein freundliches Gesicht um mich habe.
Und bald schon werde ich allen Mut brauchen, den ich aufbringen kann.
Komm zurück zu mir, bitte. Komm rasch zurück.«
    Vor dem Geschäft meines Vaters waren die
Läden heruntergelassen, obwohl es noch früher Nachmittag war. Ich
beschleunigte meine Schritte und spürte einen Stich der Furcht: Auch
Vater war sterblich, genau wie Robert Dudley, und niemand konnte
voraussagen, wie lange sein Leben dauern mochte.
    Daniel legte gerade den letzten Riegel an den Läden vor und
drehte sich um, als er meine hastigen Schritte hörte.
    »Da bist du«, konstatierte er. »Komm herein.«
    Ich legte ihm die Hand auf den Arm. »Daniel, ist es sehr
schlimm?«
    Flüchtig berührte seine Hand die meine. »Nun komm herein.«
    Ich betrat den Laden. Auf der Theke lagen keine Bücher, in der
Druckerei war es still. Ich stieg die baufälligen Stufen zum
Hinterzimmer empor und richtete meinen Blick auf das kleine Rollbett in
der Ecke, weil ich fürchtete, ihn dort liegen zu sehen, zu schwach, um
sich zu erheben.
    Auf dem Bett stapelten sich Papiere und ein kleiner Haufen
Kleider. Mein Vater stand davor. Sogleich erkannte ich alle Anzeichen
der Vorbereitung für eine lange Reise.
    »Oh nein!«, stieß ich hervor.
    Mein Vater drehte sich um. »Es ist Zeit zu gehen«, sagte er
schlicht. »Haben sie dir Erlaubnis gegeben, eine Woche zu bleiben?«
    »Ja. Aber sie erwarten meine Rückkehr. Ich bin hergerannt,
voller Angst, dass Ihr krank wäret.«
    »Dann haben wir eine Woche Zeit«, sagte er, meine Klagen
ignorierend. »Mehr als genug Zeit, um nach Frankreich zu kommen.«
    »Nicht schon wieder«, sagte ich dumpf. »Ihr hattet doch
versprochen, dass wir in England bleiben könnten.«
    »Aber wir sind nicht sicher«, schaltete sich Daniel ein, der
hinter mir ins Zimmer getreten war. »Die Hochzeit der Königin steht
bevor, und Prinz Philipp von Spanien wird die Inquisition ins Land
holen. Schon jetzt sind an vielen Straßenkreuzungen Galgen errichtet
worden, und in jedem Dorf sitzen bereits Informanten. Wir können nicht
bleiben.«
    »Ihr habt gesagt, Ihr würdet Engländer werden«, beschwor ich
meinen Vater. »Und die Galgen sind für Verräter gedacht,

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