Die Hofnärrin
kann!«
Einige Tage später ritt ich aus. Ich war zu
groß für das Pony geworden, das die Dudleys mir geschenkt hatten, und
ritt nun einen prächtigen Hunter aus dem königlichen Marstall. Ich
sehnte mich nach frischer Luft. So schön Hampton Court auch
war – in diesem Sommer war der Palast wie ein Gefängnis, und
wenn ich des Morgens ausritt, hatte ich immer das Gefühl, eine kleine
Flucht anzutreten. Das angespannte Warten der Königin und des Hofes auf
das Baby machte uns Hunden in einem Zwinger gleich: Wir waren kurz
davor, gegenseitig nach unseren Pfoten zu schnappen.
Mein üblicher Ritt führte mich nach Westen am Fluss entlang,
sodass ich die helle Morgensonne im Rücken hatte, vorbei an Gärten und
kleinen Höfen, bis ich das offene, einsame Land erreichte. Ich trieb
meine Stute zum Sprung über niedrige Hecken, und sie liebte es, in
gestrecktem Galopp durch Bachläufe zu preschen. Ich pflegte diese
Ausritte über eine Stunde auszudehnen und kehrte jedes Mal
widerwilliger zurück.
An diesem warmen Morgen war ich froh über meinen frühzeitigen
Aufbruch, denn später würde es zum Reiten zu warm sein. Ich spürte die
Sonnenglut auf meinem Gesicht und zog meine Kappe tiefer in die Stirn,
um mich zu schützen. Nachdem ich lange genug geritten war, wendete ich
meine Stute wieder in Richtung Palast, und in diesem Augenblick
erblickte ich einen zweiten Reiter vor mir auf der Straße. Hätte er auf
die Ställe zugestrebt oder wäre er auf der Straße geblieben, so hätte
ich wohl kaum Notiz von ihm genommen; doch er ritt von der Hauptstraße
ab und nahm einen Weg, der an der Parkmauer entlang verlief. Diese
Heimlichkeit ließ mich aufmerksam werden, und ich fasste ihn genauer
ins Auge. Sogleich erkannte ich an seinen gebeugten Schultern den
typischen Gelehrten, und ich rief überrascht, ohne zu überlegen: »Mr.
Dee!«
Er zügelte sein Pferd und drehte sich lächelnd zu mir um. Er
wirkte vollkommen gelassen. »Wie schön, dich zu sehen, Hannah Verde!
Ich habe auf unser Zusammentreffen gehofft. Geht es dir gut?«
Ich nickte. »Sehr gut, danke. Ich wähnte Euch in Italien. Mein
Verlobter schrieb mir, er habe Euch einen Vortrag in Venedig halten
hören.«
John Dee nickte. »Ich bin schon seit einiger Zeit wieder in
der Heimat. Ich arbeite an einer Karte der Küstenlinie und musste in
London Land- und Seekarten besorgen. Hast du ein Buch für mich
erhalten? Ich hatte es sicherheitshalber deinem Vater in Calais
geschickt, und er versprach, es an dich weiterzuleiten.«
»Ich bin seit Tagen nicht mehr im Geschäft gewesen, Sir«,
erklärte ich.
»Wenn es eintrifft, werde ich mich sehr freuen«, bemerkte er.
»Hat die Königin Euch zu sich bestellt, Sir?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin gekommen, um die
Prinzessin Elisabeth zu besuchen. Sie hat mich gebeten, ihr einige
Manuskripte zu bringen. Sie lernt nämlich zurzeit Italienisch, und ich
habe ihr ein paar sehr interessante Texte aus Venedig mitgebracht.«
Immer noch war ich arglos. »Soll ich Euch zu ihr führen?«,
erbot ich mich. »Dies ist nicht der Weg zum Palast. Wir können über die
Straße zu den Ställen reiten.«
Während John Dee nach einer Antwort suchte, öffnete sich ein
kleines Tor in der Mauer, und Kat Ashley erschien.
»Aha, der Hofnarr«, meinte sie freundlich. »Und der Magier.«
»Ihr belegt uns mit falschen Namen«, erklärte Mr. Dee mit
ruhiger Würde und stieg vom Pferd. Sofort erschien ein Page und nahm
dessen Zügel. Nun begriff ich, dass er erwartet worden war, dass er
ungesehen in den Palast schlüpfen sollte, und ich begriff – zu
spät, manchmal war ich wahrlich ein Narr! –, dass ich besser
daran getan hätte, ihn nicht zu beachten, oder zumindest den Kopf
abzuwenden und an ihm vorbeizureiten.
»Nimm auch ihr Pferd«, sagte Kat Ashley zu dem Jungen.
»Ich reite zum Stall zurück«, beeilte ich mich zu sagen. »Dies
hier geht mich nichts an.«
»Es geht dich sehr wohl etwas an«, bemerkte sie unverblümt.
»Da du schon einmal hier bist, musst du uns begleiten.«
»Ich habe niemandes Befehle zu befolgen außer denen der
Königin«, versuchte ich mich zu verteidigen.
Sanft legte mir John Dee eine Hand auf den Arm. »Hannah, ich
könnte deine Gabe bei der vor mir liegenden Arbeit gut gebrauchen. Und
auch dein Gebieter sähe es gern, wenn du mir hilfst.«
Ich zögerte, und dies nutzte Kat aus, indem sie meine Hand
ergriff und mich förmlich hinter die Mauer zerrte. »Nun komm schon
mit«, sagte sie. »Sobald
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